Wenn der Brandschutz zweimal klingelt

Stadtleben // Artikel vom 22.02.2016

Zur Hallensituation in Karlsruhe.

Karlsruhe ist derzeit ein einziger Sanierungsfall. Rund 400 Millionen Euro muss die Stadtverwaltung den Prognosen zufolge über die kommenden sechs Jahre einsparen, will sie nicht 2017 handlungsunfähig werden. Und während immer mehr Geld aus dem Stadtsäckel im Underground versickert, drohen längst weitere kostenintensive Großprojekte: das nach fast 40 Jahren Dauerbetrieb für 125 (je hälftig vom Land und der Stadt getragenen) Millionen Euro generalzusanierende und um ein Schauspielhaus zu erweiternde Badische Staatstheater, ein neues Stadion im Wildpark für 88,8 Millionen (bei elf Millionen Landeszuschuss) – und die in ihre Jahre gekommenen Veranstaltungshallen. Vor dem Hintergrund der ständig verschärften Brandschutzbestimmungen ist die Europahalle bereits seit Juni 2014 wegen Mängeln in der Sicherheits- und Gebäudetechnik für Veranstaltungen mit 200 und mehr Personen zur verbotenen Zone erklärt worden; dasselbe gilt für die Mensen des Studierendenwerks und den Festsaal des Studentischen Kulturzentrums am KIT.

Improvisieren muss die Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH (KMK) auch am Festplatz: Die laufenden Arbeiten an der Fassade des Konzerthauses sind zwar voraussichtlich im Frühjahr abgeschlossen, dafür steht der benachbarten Stadthalle zwischen Juli 2017 und September 2019 eine 53-Millionen-Euro-Sanierung bevor, die Technik, Brandschutz und Gestaltung umfasst. Dann müssen Kongresse wie die erstmals laufende „Kino Karlsruhe“ (19.-21.4.) ausweichen – in die Schwarzwaldhalle, das Konzerthaus und die Gartenhalle, wo die KMK zwei zusätzliche temporäre Kongressräume einrichtet. Neben diesem Ensemble bietet sich auch das Messegelände mit seinem Konferenzraum West und den Seminarräumen an. Das Karlsruher Kongressgeschäft kommt also nicht zum Erliegen, für Konzerte ist die multifunktionale dm-Arena dagegen eindeutig überdimensioniert: Einen Show-Act, der 14.000 Besucher zieht, gibt der Standort schlicht und ergreifend nicht her.

Das Fehlen einer Halle mit dem für Karlsruhe idealen Fassungsvermögen von bis zu 8.000 Personen macht sich bereits bemerkbar, kleinere Veranstaltungen wandern nach Rastatt in die Badnerhalle ab (zuletzt wurde das Konzert des Rammstein-Tributes Stahlzeit wegen Brandschutzauflagen aus der maroden Durlacher Festhalle abgezogen) und die Problematik wird sich voraussichtlich noch verschärfen. In Anbetracht des Sanierungsstaus kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Stadt über Jahre hinweg ihre Hausaufgaben nicht erledigt hat (aber dafür mal eben noch 8,2 Millionen für die Instandsetzung von u.a. Fassade, Küche und Kantine des Technischen Rathauses im Doppelhaushalt 2015/16 versteckt). Und Anfang März beginnt im Gemeinderat mit den Debatten um die Haushaltsstabilisierung das große Hauen und Stechen, wobei auch die Kultur Abstriche machen muss. INKA hat Beteiligte und Betroffene zur aktuellen Schieflage befragt.

Michael Obert, Baubürgermeister
INKA: Stichwort Brandschutz: Wer und was wird wann aus welchem Anlass geprüft?
Michael Obert: Das ist ziemlich komplex. Bei manchen Gebäudearten sind Brandschutzschauen im Rhythmus von fünf oder drei Jahren vorgeschrieben, bei anderen wird nur anlassbezogen geprüft, bei wieder anderen überhaupt nicht; für Versammlungsstätten ab 200 Personen gelten andere Regeln als für Objekte, deren Kapazitäten darunter liegen. Bei den Brandschutzschauen prüfen Branddirektion und Bauordnungsamt, ob der bauliche, technische, vorbeugende oder organisatorische Brandschutz gewährleistet ist. Falls nicht, ist ein Brandschutzkonzept zu erstellen und es ist zu prüfen, ob das Gebäude es überhaupt zulässt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Denn nicht selten werden Gebäude zweckentfremdet genutzt und sind aufgrund ihrer Struktur weder als Versammlungsstätte gebaut noch zugelassen. Besteht Gefahr für Leib und Leben, wird eine sofortige Nutzungsuntersagung ausgesprochen, ansonsten sind angemessene Fristen zur Nachbesserung einzuräumen.

INKA: Wie geht es mit der Europahallen-Sanierung weiter?
Obert: Die Stadt hat ein verschiedene Szenarien aufzeigendes Gutachten erstellen lassen, mit welchen Sanierungen und Brandschutzmaßnahmen für maximal 6.500 Zuschauer zu rechnen ist. Dies wurde nun mit den Anforderungen verschiedener Sport-, Konzert- oder vergleichbarer Veranstaltungen abgeglichen, wobei auch Fragen des Caterings, der Veranstaltungstechnik oder der Sponsorenerwartungen zu beurteilen sind. Der Gemeinderat befasst sich damit noch in diesem Quartal.

INKA: Existieren in der Stadtverwaltung Listen, die sich der Hallenproblematik widmen, und ein Zeitplan für die künftig zu sanierenden Objekte?
Obert: Es gibt selbstverständlich Prioritätenlisten. Hinsichtlich der Veranstaltungshallen ist ein Hallenkonzept in Arbeit, das auch eine Marktanalyse umfasst. Bestimmte Maßnahmen wie die Stadthalle werden aber schon im kommenden Doppelhaushalt berücksichtigt.

INKA: Und wie ist es um die Durlacher Festhalle bestellt?
Obert: Über die Festhalle wird ebenfalls nachgedacht. Dies ist auch mit der Politik zu kommunizieren. Hier stehen wir aber erst am Anfang.

Dr. Susanne Asche, Leiterin Kulturamt
INKA: Was passiert nach dem angedachten Umzug des Badischen Konservatoriums in die noch herzurichtende Dragonerkaserne mit den Gebäuden in der Jahnstraße und der Kaiserallee?
Susanne Asche: Zunächst muss der Gemeinderat über einen Umzug des Kons entscheiden, auch darüber, wann dies der Fall sein kann. Erst dann kann entschieden werden, was mit den künftig frei werdenden Gebäuden geschehen soll.

INKA: Wären das nicht ideale Spielstätten für den heimatlosen Karlsruher Jazzclub?
Asche: Wünsche und Bedarf gibt es von vielen Seiten in der Stadt, auch aus dem Bereich der Kultur. Eine Entscheidung zur künftigen Nutzung der Gebäude muss im Gesamtblick auf Bedarf und Bestand hinsichtlich der Räumlichkeiten in der Stadt erfolgen. Der Jazzclub ist uns dabei mit seiner Suche nach einer neuen Spielstätte sehr präsent und ein großes Anliegen.

Fabienne Seither, Bookerin
INKA: Du hast vor deinem Substage-Engagement für die Münchner Target Concerts GmbH als Produktions- und Tourleiterin gearbeitet und betreibst außerdem deine eigene Booking-Agentur Manic Turtle Productions. Wie stellt sich die Hallensituation in Karlsruhe für einen externen Veranstalter dar?
Fabienne Seither: Wir haben in Karlsruhe für Rock- und Pop-Konzerte mit mehr als 1.800 Besuchern keine wirklich bespielbare Halle. Die Zwischengröße 1.800 bis 3.000 Personen fehlt komplett, die Schwarzwaldhalle mit ihrer 5.000er-Kapazität ist bei Touragenturen und Künstlern äußerst unbeliebt – nicht zuletzt, weil sich die Akustik u.a. aufgrund der Glasfassaden als problematisch darstellt. Die dm-arena ist auf das Messegeschäft ausgerichtet. Was das Konzertbusiness betrifft, ist es im Vergleich zu den entsprechenden Arenen in Mannheim oder Stuttgart auch wegen der Neben- und Folgekosten meist zu teuer, dort eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Das Schicksal der bislang 9.000 Personen fassenden Europahalle ist ungewiss und das Wildparkstadion steht für Open Airs nicht mehr zur Verfügung.

INKA: Ohne sich mit den großen Konzertstädten messen zu wollen: Woran liegt es, dass angesagte Indie-Acts einen Bogen um Karlsruhe machen?
Seither: Zum einen an den englischen Agenten, die Bands aus dem Königreich oder den Staaten an deutsche Touragenturen verkaufen. Karlsruhe wird hierbei als D-Stadt gehandelt, wobei A Premium entspricht und das gilt nur für Berlin, Hamburg, München und Köln. Diese Einstufung richtet sich nach der Einwohnerzahl sowie nach Anzahl, Qualität und nationaler Relevanz der ansässigen Medien. Zum anderen liegt es am sogenannten Gebietsschutz: Jedes etwas größere Festival in Deutschland – und das betrifft nicht nur das „Southside“ oder die Ring-Festivals – legt mittlerweile vertraglich fest, in welchem Zeitraum und in welchem Kilometerkreis die Bands über das Festival hinaus spielen dürfen. Karlsruhe ist zwischen diversen Festivals ziemlich ungünstig positioniert. Der dritte Grund ist, dass die Stadt mit der technisch orientierten Universität angesagten Indie-Acts oftmals deutlich weniger Zuschauer bieten kann als z.B. Heidelberg und Freiburg mit ihren geisteswissenschaftlich geprägten Unis. Und bessere Besucherzahlen heißt dementsprechend mehr Geld für die Agenturen und Künstler. Aber seit die HfG in Karlsruhe ihre Zelte aufgeschlagen hat, ist es schon ein bisschen besser geworden.

INKA: Im Zuge der Konzentrationswelle unter den deutschen Konzertveranstaltern haben sich Ticketfirmen wie CTS Eventim nahezu alle mittleren und großen Konzertveranstalter einverleibt oder haben ihre exklusiven Vertragspartner. Was bedeutet das für die lokale Vielfalt?
Seither: Sie schwindet. Im Zuge der fortschreitenden Durchkapitalisierung des kulturellen Sektors gibt es immer weniger freie Veranstalter und unabhängige kulturelle Einrichtungen, die ein ebensolches Programm machen können.

Benjamin Wedewart, Pressesprecher Studierendenwerk
INKA: Wie stellt sich die Situation für Veranstaltungen im Festsaal des Studentenhauses, in der Mensa am Adenauerring und in der Mensa Moltke dar?
Benjamin Wedewart: Aufgrund der Brandschutzbestimmung dürfen sich im Festsaal aktuell nur 199 Personen aufhalten. Wir befinden uns in der Umbauphase und bessern dementsprechend nach; u.a. wurden bereits die Türen vergrößert. In den Mensen haben wir in Absprache mit den Behörden bis auf weiteres alle Sonderveranstaltungen eingestellt. Momentan sind wir dabei, der Größe unserer Gebäude angemessene Fluchtwege zu schaffen, ebenso halten die Umbauarbeiten für die Brandabschottung noch an. Wann wir fertig sind und wie viele Personen sich dann offiziell in unseren Räumen aufhalten dürfen, steht aber in den Sternen.

Martin Wacker, Geschäftsführer Karlsruhe Event GmbH
INKA: Wie ist die aktuelle Hallensituation in Karlsruhe zu bewerten?
Martin Wacker: Im Musikbereich decken wir ausschließlich Open-Air-Konzerte ab und haben hier mit „Das Fest“ ein nationales Spitzenevent. In puncto Hallen kann ich nur für überregional bedeutende Sportveranstaltungen sprechen, denn das ist für den Auftrag der KEG relevant: dem Leistungssport eine Plattform zu bieten. Das Wegbrechen der Europahalle war zunächst ein Schock! Aber wir haben daraus eine Chance gemacht – Sport in der Messe mit vielbeachteten Turn- und Leichtathletik-Highlights. Die mobile Leichtathletikarena hat uns sogar in den Kreis der vier besten Meetings weltweit und in den Kandidatenkreis für die EM 2021 gebracht.

INKA: Was bedeutet das Fehlen der Europahalle auf lange Sicht?
Wacker: Dass wir mit dem „Indoor Meeting“ in der Messehalle 2 längerfristig zu Gast sind. Die Anlage ist Eigentum der Stadt, Tribünen und sonstige Infrastruktur müssen jeweils installiert werden. Je mehr weitere Sportveranstaltungen wir in dieses Zeitfenster einbinden können, desto eher rechnet sich der Aufbau. Aber nochmals: Wir haben ein kleines Karlsruher Wunder vollbracht und damit national wie international viel Lob für den Standort eingefahren. Trotzdem muss eine Lösung her, gerade für Mannschaftssportarten.

Der Hallensanierungsstau macht sich nicht nur in Karlsruhe bemerkbar, auch die Region verzeichnet Brandschutz-Einschläge: Ende 2015 musste mit dem Schwimmbad Club in Heidelberg eine 36 Jahre alte Institution schließen, weil man um die grundlegende Sanierung des im Besitz der Stadtwerke befindlichen Gebäudes nicht herumkommt. Nur Schall und Rauch ist allerdings das kursierende Gerücht, die Bruchsaler Fabrik stünde vor dem Aus. Die letzte Brandschutzschau im Herbst 2014 ging abgesehen von kleineren Nachbesserungen komplikationsfrei über die Bühne.

Derweil verschlimmern in Karlsruhe Nebenkriegsschauplätze die ohnehin angespannte kulturelle Lage: Das ZKM wird mit fortwährenden Lärmbeschwerden einer zugezogenen Juristin gegängelt und dem Vanguarde im Kulturzentrum Tempel macht ausgerechnet ein ortsansässiger Künstler das Leben schwer – zusammen mit Ünal Ay, 2004 aus dem Zentrum geklagter Ex-Betreiber des damaligen Café Havanna. Die kurzzeitig im Raum stehende Einschränkung der Konzession wegen eines vermeintlich illegalen Diskothekenbetriebs ist jedoch noch nicht nicht vom Tisch.

Längst zur Never-Ending-Story ausgeartet ist dagegen die Suche des heimatlosen Karlsruher Jazzclubs, der seit Mai 2014 zwischen seinen Interims-Locations Tempel, Tollhaus, Jubez, Substage und Alter Hackerei hin- und hertingelt. Die Mitglieder würden den frischsanierten Flügel nur zu gerne in einer eigenen unabhängigen und vor allem dauerhaft nutzbaren Vereinsspielstätte aufstellen, wobei die Wunschvorstellung nach wie vor der Schulterschluss mit der Kinemathek ist. Dort hat man der Kinogenossenschaft Kurbel Filmtheater aufgrund einer unrechtmäßigen Unter-Untervermietung an den Erste-Hilfe-Kurs-Anbieter Startsafe und wiederholter Missachtung der Brandschutzvorschriften bereits im vergangenen Oktober gekündigt, die Räumungsklage wegen Außenständen im fünfstelligen Bereich aber zurückgestellt.

Immerhin konnte das Kohi als Exot unter Karlsruhes Kulturmachern seine Zukunft nachhaltig sichern: Die im Juli gegründete Genossenschaft Kohi Kultur, an der aus Kündigungsschutzgründen neben Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern auch der Kohi Kulturraum e.V. als solcher beteiligt ist, hat die Vereinsräume am Werderplatz gekauft. -pat

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Kommentare

Kommentar von VonHerzenBadisch |

Sehr guter Artikel zu einem viel zu wenig beachteten Problem in Karlsruhe. Verwunderlich ist allerdings die Aussage von Herrn Bürgermeister Obert zur Festhalle Durlach. Die Situation des Brandschutzes dort ist mehr als bedenklich, was sich auch jüngst an der Verlegung des geplanten Events „Stahlzeit“ nach Rastatt wieder zeigte. Da der Zustand der Festhalle Durlach seit Jahren unverändert zu sein scheint, stellt sich die Frage, weshalb man hier laut Herrn Obert erst „am Anfang steht“ bzw. über die Festhalle lediglich „nachgedacht wird“.

Verglichen mit anderen Hallen, weist die Festhalle den mit Abstand ältesten, um nicht zu sagen marodesten Zustand auf. Dies ist selbst für einen Laien offensichtlich. Die womöglich unter Denkmalschutz stehende Tür zur Straße hin öffnet sich entgegen der Fluchtrichtung, so dass im Falle einer Panik kein Mensch dort raus kommt. Ausgehängte Rettungswegpläne entsprechen nicht der Realität des Gebäudes, eine Entrauchung ist wohl nicht vorgesehen, und etliche Dinge mehr.

Ich frage mich, weshalb die weitaus modernere Europahalle faktisch quasi geschlossen wurde, die Stadthalle für über 50 Millionen brandschutzsicher gemacht werden soll und die Festhalle Durlach in der jetzigen Form einfach weiter betrieben werden darf. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Ich möchte jedenfalls nicht anwesend sein, wenn es in der Festhalle zu einem Brand kommen sollte. Wollen wir hoffen, dass es nie dazu kommt, denn die Verantwortlichen der Stadt werden sich dann zu Recht vorhalten lassen müssen, jahrelang weggeschaut zu haben.

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