Nach jahrelangem Flächenkampf: Baubeginn an der Stuttgarter Straße

Stadtleben // Artikel vom 01.04.2022

„Über Jahrzehnte gab es heftige Diskussionen und Kämpfe“, blickt Christin Wilke auf die intensiv geführte Debatte um die Nutzung der Stuttgarter Straße zurück.

Die Vorstandsvorsitzende der ESG Frankonia sieht die Planungen für ein neues Vereinsgelände im Ostteil der einst allein Kleingärten vorbehaltenen Straße „jetzt voll im Zeitplan. Wir haben 30 Jahre gewartet, jetzt läuft es rund.“ Doch nicht nur unterschiedliche Vorstellungen über die Nutzung des 15 Hektar großen Areals machten die Entwicklung des Geländes zur jahrzehntelangen Hängepartie; auch der Artenschutz sowie Bomben und Kampfmittel aus dem zweiten Weltkrieg erschwerten und verlängerten die Planungen stetig.

Bereits 2009 kaufte die Stadt das Areal im Süden der Stuttgarter Straße von der Post, um es neu zu entwickeln. Zwei Jahre später vereinbarten Stadt und ESG, dass der Sportverein seine Flächen an der Durlacher Allee und in der heutigen Südstadt-Ost aufgebe und auf einen noch zu benennenden Standort an der Stuttgarter Straße umziehen solle. Dort hatten sich aber über die Jahre in Richtung der Bahngleise etwa 400 Kleingärtner angesiedelt. Um Platz für den Sport zu schaffen, sah der Bebauungsplan eine Reduzierung der Kleingartenparzellen auf 200 Gärten vor. Die Kleingärtner protestierten u.a. mit 3.000 Unterschriften gegen die Pläne und machten auch auf schutzbedürftige Tierarten aufmerksam, die mit den Bauplänen nicht vereinbar seien. Doch der Protest blieb erfolglos.

2017 kaufte die Stadt Karlsruhe das Vereinsgelände der ESG Frankonia und verpflichtete sich die Sportanlagen der ESG entweder zu verlagern oder dauerhaft an diesem Standort zu belassen. Gleichzeitig wurde den Kleingärtnern gekündigt und im Jahr darauf die ersten Kleingartenbauten abgerissen. Allerdings zeigte sich nach und nach, dass das Gelände an der Stuttgarter Straße durch die Nähe zum kriegswichtigen Güterbahnhof erhebliche Belastungen mit Kampfmitteln aufwies, die ab 2017 über mehrere Jahre von Experten untersucht werden mussten. „Konkrete Untersuchungen vor Ort konnten erst nach Räumung der Kleingärten erfolgen“, begründet die Stadtverwaltung die lange Planungszeit. Mit der Beseitigung der Kampfmittel kann die Stadt also erst dieser Tage beginnen. Etwa 600.000 Kubikmeter Boden müssen bis Ende 2023 bewegt werden. Erst danach können die Bauarbeiten beginnen, wobei weitere zwei Jahre benötigt werden, um die dort heimischen Mauereidechsen in die neu zu errichtende Kleingartenanlage umzusiedeln.

Fertigstellung erst 2028

Entsprechend verzögerte sich der Einzug des Sportvereins bereits mehrmals. Auf INKA-Anfrage spricht die Stadtverwaltung jetzt von einer Fertigstellung des Gesamtprojekts im Jahr 2028. Noch im vergangenen Sommer rechnete die Stadt mit einem Ende der Baumaßnahmen im Sommer 2027. Der längere Aufwand ist auch bei den Kosten spürbar. Sollte die Baumaßnahme einst knapp 40 Mio. Euro kosten, spricht die Stadtverwaltung heute von Gesamtkosten von 74 Mio. Euro. Allein die Kosten der Kampfmittelbeseitigung werden von Seiten der Stadt auf 41,5 Mio. Euro geschätzt.

Derweil wächst bei der Bürger-Gesellschaft der Südstadt die Sorge, dass das Projekt und damit die Wiederansiedlung der Kleingärten doch wieder ins Wanken kommt. „Der Bebauungsplan ist immer noch nicht rechtskräftig. Wir haben daher die Leiterin des Gartenbauamts zu unserer Jahreshauptversammlung eingeladen, um die Planungen vorzustellen“, sagt Martina Hillesheimer, Vorsitzende der Bürgergesellschaft. Auf Anfrage hält die Stadtverwaltung aber an der Planung fest, allen früheren Pächtern der Kleingärten in der neuen Anlage eine Parzelle anbieten zu wollen. „Allerdings wird wegen des relativ langen Realisierungszeitraums damit gerechnet, dass sich viele zwischenzeitlich schon neue Gärten gesucht haben oder keinen neuen Garten mehr möchten“, kalkuliert die Stadtverwaltung mehrere Absagen mit ein. Gleichzeitig betont sie die Freizeit- und Sozialfunktionen der Kleingärten, die gerade in der eng bebauten Südstadt wichtig seien. In Zeiten der Klimaerwärmung profitiere gar die gesamte Stadt von den Grünflächen. „Der Nutzen für die Allgemeinheit liegt in ihrer ökologischen und stadtklimatischen Ausgleichsfunktion“, lässt die Stadtverwaltung wissen.

Neuer Stadteingang im Osten

„Die ESG Frankonia wird jetzt ein kompletter Verein“, freut sich Wilke auf einen zentralen Standort. „Die vergangenen Jahrzehnte entstand keine Zusammengehörigkeit, da alles zerstückelt zwischen verschiedenen Stadtteilen war.“ Zwar bliebe die Schützenabteilung in Weiherfeld, doch mit zwei Fußballfeldern, vier Tennisplätzen, zwei Faustballfeldern, einer Laufbahn und einem Ringtennisplatz entstehe ein breites Angebot. „Wir haben dann wesentlich mehr Räume, wo wir mehr anbieten können. Auch mit einer Eisstockbahn und Beach-Volleyball, zur Errichtung eines Kletterparks laufen die Gespräche noch“, sagt Wilke. Der Verein habe die vergangenen Jahre deutlich an Mitgliedern verloren und nur noch im Tennisbereich eine eigene Jugendabteilung. „Im Nirvana zwischen Ikea und Mann Mobilia lässt doch keiner die Kinder alleine hinfahren“, hofft Wilke auf den neuen Standort, der auch deutlich moderner sein soll. „Wir haben viele Jahre nicht groß investiert, weil wir wussten, wir werden irgendwann verlagert. Das ging dann, da nochmals fünf Jahre warten, bis man Geld ausgibt und dem folgten dann nochmals fünf Jahre und so weiter.“ Der Verein sei bezüglich des Neubaus im „ständigen Kontakt mit der Stadt“, eine Kommunikation mit den Kleingärtnern gäbe es dagegen nicht, sagt Wilke.

Während die bisherigen ESG-Tennisplätze an der Stuttgarter Straße zur Fertigstellung des City Parks genutzt werden sollen, ist die konkrete Nutzung des Grundstücks an der Durlacher Allee noch unklar. Die Stadt hat es 2017 für zwei Mio. Euro von der Deutschen Bahn gekauft. „Nach dem Umzug der Sportanlagen soll es für eine höherwertige städtebauliche Entwicklung genutzt werden“, sagt das Stadtplanungsamt auf Anfrage. Konkreter wollte das Amt nicht werden, das Grundstück am Stadteingang läge aber an einer zentralen „städtebaulichen Entwicklungsachse“. Schon vor Jahren stellte OB Frank Mentrup auf eine schwierige Debatte ein: „Das ist ein letztlich auch ein ganz schwierig zu überplanendes Gelände, in dem sich ganz verschiedene Interessen kreuzen: Grünzüge, Mobilitätsachsen, Lärmachsen usw. Das wird sicherlich mit großem Fingerspitzengefühl und großer gemeinsamer Anstrengung angegangen werden müssen.“ -fk

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