INKA-Interview: Kulturclub Vanguarde neu im Tempel

Stadtleben // Artikel vom 13.07.2012

Bewegt man sich aus der Stadt über das Sandkorn-Fabriktheater westwärts, empfängt einen eine kulturell eher ausgedünnte Landschaft.

Verstreut folgen geografisch gesehen Hemingway, Tempel, Gotec, Nachtwerk. Aber es tut sich was, wie die Galerien/Kunsträume Schauraum oder Romy Ries zeigen – oder Initiativen wie das Kulturnetzwerk Mühlburg, das Haydn- und Brahmsplatzfest oder „Westwind“, ein alternatives Fest auf dem und rund um den Gutenbergplatz am 16. September.

Auch das Kulturzentrum Tempel, der wichtigste Kulturveranstalter und Kreativpool im Karlsruher Westen, nutzte den auslaufenden Vertrag mit dem alteingesessenen Café Havanna für einen Reset. Der Kulturverein, der mit Geschäftsführer Martin Holder schon immer auf neue Trends etwa im Jazz oder Tanz (Tempel-Tanzfestival) setzt, fand mit Jakob Siegmund von der Kavantgarde-Plattform einen kongenialen Partner.

Dieser war schon lange auf der Suche nach einer festen Location, und so wird der nach einem New Yorker Jazzclub benannte Vanguarde-Kulturklub nach den Sommerferien eine der spektakulärsten Neuverknüpfungen der jüngeren Karlsruher Kulturgeschichte mit sich bringen. Friedemann Dupelius und Roger Waltz sprachen mit Holder und Siegmund über den neuen Kulturklub.

INKA: In Karlsruhe wird derzeit jeder Flecken mit Büro- und Eigentumsbauten zugepflastert. Ein schräger Wildwuchs – Paris käme zum Beispiel kaum auf die Idee, das Entree zum Centre Pompidou (alias ZKM) mit einer Art Zonen-Blockrandbebauung aus Gewerbe und Wohnungen zu versehen, die womöglich noch den Spielbetrieb stören oder gefährden. Auch der Tempel ist ja davon betroffen. Zudem liegt der Fokus der Karlsruher Kulturpolitik derzeit auf der Entwicklung des Schlachthofgeländes. Hat dieses Gesamt-Szenario eine Rolle bei dem Zuschlag für die Verpachtung an die Kavantgarde-Plattform gegeben?
Martin Holder: Ja natürlich, beides. Für mich ist eine gesunde kulturelle Balance zwischen Ost und West in der Stadt ein ganz wichtiger Punkt, auch hinsichtlich der Lebensqualität. Und wenn ich sehe, was im Osten passiert mit dem Schlachthof-Areal, dem geplanten Kreativpark Ost – das alles existiert mit dem Tempel ja schon längst, nur eben in einer kleineren Variante. Hier gibt’s Kreative von Tanz über Design bis Kunst, Proberäume für Musiker, Live-Musik – all dies wird jetzt noch verstärkt und bekommt neue Impulse hinzu. Es ist wichtig, dass nicht alles in den Osten geht! Für uns als Kulturzentrum Tempel war es daher in der Tat wichtig, dass wir unseren Kreativpool nochmals erweitern, uns kulturell breiter, aber auch in der Tiefe besser und direkter am jüngeren Zeitgeschehen andocken. Wir müssen der Politik zeigen, dass unsere Existenz notwendig ist. Zudem ist der geplante Café-Tagesbetrieb eine Bereicherung für die hier agierenden Kreativen, aber auch für das gesamte Stadtviertel. Das hatten wir uns schon immer gewünscht!

INKA: Jakob, ist schon alles in trockenen Tüchern?
Jakob Siegmund: Ja, Übernahme ist am 1.9. Nach einer zweiwöchigen Umbauphase soll’s dann am Wochenende 14./15.9. losgehen! Da ist dann zwar wahrscheinlich noch nicht alles fertig, aber wichtig ist ja erstmal, dass alle Auflagen erfüllt sind. Gestalterisch wird der Kulturklub sowie nie fertig werden, da er immer in Bewegung bleiben soll.

INKA: Was ist tagsüber geplant?
Siegmund: Bis auf sonntags wird es unter der Woche tagsüber einen normalen Café- und Barbetrieb geben. Zudem planen wir – etwas abgeschottet – einen Co-Working Space mit freiem WLAN und einer Büro-Infrastruktur. Dort können Kreative in entspannter Atmosphäre arbeiten und sich über Projekte und Aufträge austauschen. Außerdem wird unser gesamtes kreatives Umfeld wie die Agentur Triebfeder, Kavantgarde, Stil In Karlsruhe, Urban Artillery Styleblog, Schnittmonster & Klappe oder das Label Petite Pyramide dort ein festes Zuhause finden. Auch ein Recording- und Mixing-Studio soll hinzukommen.

INKA: Wie sieht das Programm aus?
Siegmund: Unter der Woche wollen wir ab und an Lesungen, Performances, Film-Screenings oder kleine akustische Konzerte realisieren. Hinzu kommen jedes Wochenende freitags und samstags Veranstaltungen. Samstags geht das vor allem in die Richtung elektronischer Musik; den Freitag behalten wir auch anderen Stilen vor, zum Beispiel IDM oder HipHop. Zum Großteil arbeiten wir aber mit etablierten Karlsruher Veranstaltern zusammen, bei denen wir wissen, dass sie gute Arbeit leisten und kreative Veranstaltungskonzepte realisieren können. Für neue Vorschläge von außen sind wir dabei stets offen!

INKA: Welche Rollen sollen visuelle Aspekte spielen – von Deko und Visuals auf Partys bis zu Ausstellungen?
Siegmund: Dieser Bereich ist uns sehr wichtig. Das erste vorläufig fest installierte Lichtkonzept liefert Thorsten Schwanninger, ein Medienkünstler aus der HfG, der zuletzt mit einer eindrucksvollen Lichtinstallation auf der „Beyond 3D“-Afterparty für großes Aufsehen gesorgt hat. Darüber hinaus soll eine hohe tragende Wand im Kulturklub regelmäßig von Karlsruher Künstlern oder Gästen aus anderen Städten umgestaltet werden.

INKA: Welche Kooperationen sind mit dem Tempel angedacht?
Holder: Die Idee ist, ungefähr einmal im Monat etwas Festes zusammen zu machen, mit zwei Floors. Ich werde beim Booken dann wohl auch Sachen ausprobieren, die ich sonst vielleicht nicht gemacht hätte.
Siegmund: Man kann sich viele spannende Dinge vorstellen, die im Zusammenschluss über die Bühne gehen. Das Gebäude enthält eine breite inhaltliche Vielfalt und viele Verschmelzungspotenziale, die wir unbedingt nutzen wollen. Denkbar sind z.B. Abende, an denen man eine Ausstellung in der Naos Galerie eröffnet, im Anschluss ein Konzert in der Scenario-Halle veranstaltet und danach gemeinsam im Vanguarde in die Nacht feiert.

INKA: Welche Impulse sollen vom neuen Kulturclub für Karlsruhe ausgehen?
Siegmund: Mit dem Co-Working Space wollen wir im Westen der Stadt eine Alternative zum „Perfekt Futur“-Projekt im Schlachthof-Areal etablieren. Der Bedarf dafür ist in unserem Umfeld deutlich zu spüren. Darüber hinaus ist uns aufgefallen, dass es in der Weststadt bislang nur sehr wenige zeitgenössische Cafés oder Bars gibt, wie sie zum Beispiel in der Süd- und Oststadt zu finden sind. Diese Bedarfslücke wollen wir ebenfalls schließen. In Sachen Konzert/Club Aktivität haben wir in den letzten Jahren immer wieder bemerkt, dass es in Karlsruhe kaum Clubs und Kulturräume gibt, die von sich aus spannende Inhalte kuratieren. Sprich: Karlsruher Clubs sind in der Regel immer auf den Input lokaler Veranstalter aus der Szene angewiesen. Die wiederum haben nur begrenzte Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung, eigene Ideen zu realisieren, da sie in der Regel nur mit den Einnahmen an der Tür arbeiten können. Da setzen wir an und wollen neben populäreren Geschichten auch kleine oder experimentellere Sachen machen, die sich einfach gut anfühlen und für die Stadt eine Bereicherung darstellen, da sie so bislang nicht angeboten wurden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass wir die Karlsruher Szene weiter zusammenführen und zugleich national promoten wollen. Dieser Verbund soll dann über einen systematischen kooperativen Austausch mit Locations, Veranstaltern und Plattformen aus anderen Städten wie z.B. Freiburg, Stuttgart, Hamburg, Berlin oder Heidelberg dazu beitragen, dass Künstler, Musiker, DJs etc. aus Karlsruhe Auftrittsmöglichkeiten in anderen Städten bekommen. Im Gegenzug holen wir durch diese Schnittstelle spannende Inhalte aus anderen Städten hierher. Damit wollen wir die Karlsruher Szene auf ein nächstes Level bringen.

INKA: Gibt es schon Reaktionen auf eure Pläne?
Siegmund: Bislang haben alle Veranstalter und Künstler, denen wir unser Vorhaben beschrieben haben, durchweg positiv darauf reagiert. Alle begrüßen unsere Pläne und sind davon überzeugt, dass Karlsruhe diesen frischen Wind gut gebrauchen kann.

Am Eröffnungswochenende (14.+15.9.) werden sich verschiedene lokale DJ-Größen, Karlsruher Musiker und Künstler die Klinke in die Hand geben.

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Kommentare

Kommentar von Dora |

Die Idee ist Gut, aber was nicht gut finden ist , dass die Latino Szene die wir dort aufgebaut haben jetzt weg ist, wo bleibt die Integration, alle nur für Deustche Künstler ? ist das Integration , ausserdem unsere lange Jahre Arbeit ist um unsere Latino Kultur zu zeigen ,fordern ist alles rausgesmiessen! Das finde ist nicht im Ordnung , nicht Gerecht!

Kommentar von glory |

Mir gefällt, dass Kavantgarde ganz strukturiert und trotzdem offen die Karlsruher Kulturlandschaft bereichtert. Dass es nun im "Westen" das Gegenstück zum Kreativpark Ost gibt halte ich für eine gute Sache.

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