Der Feld-Herr
Stadtleben // Artikel vom 23.04.2008
Günter Remspecher kann schon einiges erzählen. Das mag er. Das lieben auch seine Kunden.
Seit 1977 steht er tagtäglich auf Karlsruher Märkten, Sonntage ausgenommen. Die widmet er seiner Frau und seinen Viechern. Tiere hat er genug zu versorgen: Ziegen, Schäfchen, badische Hasen, sprich: Kaninchen und vor allem sein geliebtes Federvieh. Remspecher ist ein geschätzter Vogelzüchter.
Seine Spezialität sind Hühner aller Klassen, aller Sorten. Auch Wachteln. Nur Gutes, versteht sich. Manches findet sich davon auch an seinem Marktstand. Hier verkauft er auch nur das Beste, was sich finden lässt. Dafür steht Günter, Freunde nennen ihn auch nur "de Aumer", um drei Uhr auf, macht sich fertig, versorgt seine Tiere, fährt auf den Großmarkt und kauft ein, baut den Stand auf, verkauft; baut so gegen 14 Uhr ab, "wenn de Margd verloffe isch", wie man in Karlsruhe sagt, fährt nach Hause, kümmert sich um seine Tiere, fährt nach XYZ (Oberkirch, Landau, Herrenberg usw.), wo es beim Erzeuger gerade frisches saisonales Obst wie Spätzwetschgen o.ä. gibt, fährt wieder nach Aue, lagert ein, fällt um 23 Uhr todmüde ins Bett... und steht um drei Uhr wieder auf der Matte.
Und um sechs macht er mit den ersten Marktgängern Witze. "Ich mach des genau so lang, wie's mir Spaß macht", sagt Remspecher und ergänzt: "Wenn dess nemme de Fall isch, hör ich von jedzd uff morge uff!". Das kann man gut verstehen. Vor allem, wenn man weiß, dass Günter das anstrengende frühmorgendliche Geschäft in der dritten Familiengeneration betreibt. Und eigentlich hat er, der schon "als gloiner Bu" mit seiner Tante auf den Markt gefahren ist, noch viel mehr Berufsjahre auf dem Buckel.
Sein Stand läuft. Da kommen Stammkunden aus Herrenalb oder Baden-Baden samstags auf den Gutenbergplatz. Des Gemüses, des Obstes und seiner Spezialitäten wegen. Remspecher hat viel aus eigenem Anbau zu bieten: Salate der Saison, Topinambur, Spinat, Lauch, Zwiebeln, Schwarzwurzeln, Kraut und vieles mehr. Extrem gefragt ist "Sarma". Das ist sein eingelegtes Weißkraut, wie man es inzwischen nicht nur in Ungarn, Rumänien und Russland mag. Extrem lecker, würzig bis zum Abwinken, super saftig. Ein Renner.
Ebenso wie sein berühmter "Sonnewerbele" (nhd.: Rapunzel/Feldsalat), Topi, Ziegenkäse, definitiv hausgemachte Wurst oder Schmalz mit und ohne Grieben und/oder Apfelstückchen. "Frieher bin ich als noch während'm Margd uf's Feld g'fahre unn hab Spinad g'schnidde“, erzählt Remspecher. Früher. Als er noch mit seiner Tante auf den Märkten unterwegs war ("des had die 64 Johr lang g'machd" Nedd bis 64! 64 Johr lang!"), deren Betrieb er später übernahm. Von ihr hat Günter gelernt: Die Karlsruher seien ein besonderes Volk.
Sie wollen Berge und auch darin wühlen. Also wurden Krautköpfe, Spinat oder Feldsalat in großen Bergen gestapelt oder gehäufelt. "Du glaabschs nedd, awwer des isch heud noch genau so wie frieher", lacht das "Aumer" Original verschmitzt. Seinen Sonnewerbele füllt man sich also aus großen Kisten selbst in Tüten. Er geht weg wie warme Semmeln. Das Weißkraut, schön zur Pyramide gestapelt, läuft ebenso bestens; schließlich ist Remspecher der einzige, der auf dem Markt Kohl frisch schneidet, ganz nach den Wünschen der auch mal Schlange stehenden Kunden. Sie wissen, warum sie Geduld mitbringen.
Wer über 30 Jahre lang jeden Tag bei Wind und Wetter auf dem Markt steht, kann nicht nur einiges erzählen, der hat auch viele kommen und gehen sehen. Voll des Lobes ist Remspecher über Alt-OB Gerhard Seiler. Der sei in seiner Zeit als Marktdezernent jeden Montagmorgen auf seinem Weg ins Rathaus auf dem Fahrrad wie auf einer Draisine über den Stephanplatz gerollt, habe jeden Händler mit Handschlag begrüßt und sich nach Befindlichkeit und Geschäft erkundigt. So etwas bleibt haften.
Mit der großen und kleinen Politik verbinden ihn noch andere Erlebnisse. Bei einer Bundestagswahl war neben ihm ein CDU-Stand. Sauwetter und windig, erinnert sich Remspecher. Einer der Wahlhelfer bat um ein paar Kartoffeln, um Flugblätter und Broschüren zu beschweren. Günter wirft einen Blick darauf und sieht das Konterfei von Helmut Kohl. Er geht an den Wagen, schnappt sich einen Arm voll großer Krautköpfe und verhindert so, dass der Kandidat vom Winde verweht wird.
Den leicht amüsierten "Protest" des Wahlhelfers kontert er gnitz mit: "Kohl zu Kohl, Passenderes gibt es nicht." Und da ist wieder das typische spitzbübisch ansteckende Funkeln in Remspechers Augen, wie wenn er von Hühnern und jungen Ziegen spricht. Die Kartoffeln für die politischen Leichtgewichte lieferte er schmunzelnd nach. Der Wahlhelfer ist heute übrigens Karlsruher Oberbürgermeister. Man versteht sich... -hs
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