Boheme vs. Techies: „Kreatives Rauschen“ für alle
Stadtleben // Artikel vom 17.04.2015
Kultur- und Kreativwirtschaft – für viele Ureinwohner des Alten Schlachthofs ist schon diese Wortzusammensetzung der Widerspruch in sich.
Mit Argwohn beäugen die Alteingesessenen die Ankunft der schönen neuen IT-Welt. Was nun folgt, kommt dem Drehbuch einer Culture-Clash-Komödie schon ziemlich nahe. Denn wer erobert da die von den Subkulturpionieren vor Jahrzehnten eingenommene, damals brachliegende und nun so hippe Backsteinburg in deren Augen: Establishment und Spießertum, Menschen, die auf Kisten starren.
Dass auch das Tollhaus mit heute 100.000 Besuchern im Jahr und drei Millionen Euro Umsatz keine alternative Kleinkunstbühne mehr ist, sondern sein (durchaus gutes!) Programm in direkter Konkurrenz zu anderen Kulturveranstaltern und sogar zur KMK aufstellt, wird bei der Antipodendiskussion Boheme vs. Techies gerne vergessen. Netzstratege André Hellmann, dessen Internet-Beratungsfirma Anfang 2012 auf das von K3 und Fächer GmbH neugeordnete Areal gezogen ist, musste erleben, was im August auch Lars Thomas zu drohen scheint: mit anfänglicher Missachtung gestraft zu werden. Der Senior Director Product Development des noch in der Nordweststadt ansässigen amerikanischen IT-Riesen Citrix bezieht als Hauptmieter die derzeit hinter dem Existenzgründerzentrum Perfekt Futur gebaute 8.500-Quadratmeter-Immobilie.
So auch nachzulesen in Peter Laudenbachs „Brand eins“-Artikel „Das ist unser Dorf“ (Ausgabe 07/2014), in dem der Berliner Journalist die „Geschichte über den Kampf der Kulturen“ in Karlsruhe schildert – und nicht nur den mit Schlachthof-Gaststätten-Betreiber Bernd Gnann im Clinch liegenden und deshalb heimatlosen Jazzclub, sondern auch Alte-Hackerei-Chef Plüschi als einen der Ersten und Umtriebigsten auf dem Areal vollkommen übersieht. Der darf dafür in Felix Mescolis „Rheinpfalz“-Einwurf „Anzugträger statt kreativer Köpfe“ vom 9.3.2015 den Kreativ- zum Büropark erklären und muss doch den Buhmann spielen, wenn es um die geplanten Bandproberäume über seinem Biergarten geht, während Gérald Rouvinez-Heymel, Substage-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied im Schlachthof-Nutzer-Verein Ausgeschlachtet, seine gründliche Verärgerung über die Ansiedlung von Citrix kundtut. Links liegen lassen wäre jedoch diesmal schwierig geworden – immerhin hat der mit führende Anbieter von mobilen Arbeitslösungen 100 Mal so viel Beschäftigte wie die Netzstrategen. Wäre.
Denn Lars Thomas hat den ersten Schritt bereits getan: „Ich war mir bis zur Recherche von ‚Brand eins’ gar keines Konflikts bewusst. Die offenbar vorherrschenden Bedenken habe ich dann zum Anlass genommen, den Kontakt mit dem Vorstand von Ausgeschlachtet zu suchen – das war anderthalb Jahre vor dem voraussichtlichen Einzug. Und faktisch sind wir auch nicht die anonyme American Company, sondern der Nachfolger eines äußerst erfolgreichen Karlsruher Start-ups namens Netviewer, das so lange gewachsen ist, bis es vor vier Jahren für ein anderes Unternehmen interessant wurde.“ Thomas sieht sich und die Seinen durchaus als Part Of The Game und stellt sogar einen „Integrationsbeauftragten“ in Aussicht: „Wir werden ein sehr partizipatorisches Vorgehen an den Tag legen und ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich ein kulturaffiner Mitarbeiter genau damit beschäftigt, wie wir uns auf dem Gelände einbringen können. Denn das werden wir!“
Ebenso wenig macht er einen Hehl aus dem Grund, warum seine Firma die Randlage in der Erzbergerstraße verlässt: „Für unsere Mitarbeiter. Allein im vergangenen Jahr haben wir 20 neue Produktentwickler eingestellt und wollen auch weiterhin wachsen. Dafür benötigt man einen attraktiven Standort in gut erreichbarer Lage, ein urbanes Umfeld.“ All das bietet ihm der Schlachthof in Deutschlands Internet-Hauptstadt, der – wie auch Rouvinez-Heymel einräumt – „eben keine Künstlerkolonie ist“ und den man schlicht nicht mit einem selbstverwalteten soziokulturellen Zentrum wie dem RAW-Tempel in Berlin-Friedrichshain vergleichen kann (was die „Rheinpfalz“ getan hat).
Oder mit den Worten von OB Frank Mentrup aus „Brand eins“ gesprochen: „Wir können hier nicht nur Maler, Bildhauer und Musiker ansiedeln, das gibt der Markt in Karlsruhe auch gar nicht her. Die Heterogenität ist gewollt. Ohne Heterogenität keine Innovation.“ Wenngleich dem Quartier die eine oder andere Ausgehalternative sicher nicht schaden würde; auch vom Substage hätte sich mancher nach dem Umzug mehr Programminitiative erwartet. Die dringend erforderliche Belebung durch nicht zuletzt zahlungskräftiges Publikum wird jedenfalls kommen. Gut so. Denn das von Peter Laudenbach heraufbeschworene „kreative Rauschen“ ist für alle da. -pat
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