60 Jahre Kunstfreiheit in Karlsruhe und Region

Stadtleben // Artikel vom 22.06.2009

Das INKA-Interview mit Dr. Gerd Hager, Verbandsdirektor des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein und einer der Geschäftsführer der TechnologieRegion Karlsruhe.

Die Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes sind in vollem Gang. Bei Festreden und Empfängen wird gerne und oft übersehen, dass unsere Demokratie ein noch junges Gebilde ist, dessen Errungenschaften und Grundrechte permanent verteidigt werden müssen.

Einer der besten, weil sensibelsten Indikatoren ist hierbei die Kunstfreiheit. Gerd Hager hat deshalb mit verschiedenen Institutionen der Kulturregion Karlsruhe eine bis Ende Oktober laufende Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Denn „60 Jahre Kunstfreiheit“ hat durchaus auch viel mit Karlsruhe zu tun: Hier sitzt das Bundesverfassungsgericht (BVG), das immer wieder, auch gegen Zeitgeist und politische Lobbyarbeit, Bürger- und Künstlerrechte schützt. Roger Waltz sprach mit Gerd Hager über das Thema, dem zwischen Mephisto-Urteil und Urheberrecht im Internet erhebliche Brisanz zukommt.

INKA: Die Arbeit des Regionalverbandes und der TechnologieRegion Karlsruhe blüht manchmal etwas im Verborgenen. Wie kamen Sie darauf, sich dem Thema Kunstfreiheit zu widmen?
Gerd Hager: Nachdem unsere erste Demokratie, die Weimarer Republik, gescheitert war – und das vergisst man heute oft –, bedeutete es vor 60 Jahren eine unglaubliche Kraftanstrengung, den Übergang von einer totalitären Diktatur zur freiheitlichen Demokratie zu wagen. Die Verfassung war seinerzeit geradezu ein revolutionär großer Wurf und stringent auf die Würde des Menschen ausgerichtet. Diese Pioniertat steht heute wenig im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Gerade am Thema Kunstfreiheit lassen sich der Geist der Verfassung und vor allem auch die Verfassungswirklichkeit bestens darstellen.

INKA: Wie kamen Sie konkret auf das Thema Kunstfreiheit und was hat Karlsruhe damit direkt zu tun?
Hager: Das Thema ist deshalb so spannend, weil Kunst immer an Grenzen drängt, sie ständig neu auslotet. Es geht um den klassischen Spagat zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Kunst – gegebenenfalls muss oder kann auch einmal die Kunstfreiheit ihre Grenzen finden. Die Freiheit der Künste und Künstler ist zum Gutteil ein Karlsruher Produkt, dem erst das BVG durch seine Rechtssprechung Substanz und Kontur gegeben hat. Siehe etwa das berühmte Mephisto-Urteil zum Roman von Klaus Mann oder der Fall Esra zum Buch von Maxim Biller. Kunst ist – spartenübergreifend – aber erst dann interessant, wenn sie „frech ist“, wenn sie Grenzen des Anstandes, des Schicklichen, des Erlaubten etc. berührt oder überschreitet.

INKA: Vor dem Hintergrund von Google, der grassierenden, in weiten Teilen das Urheberrecht miss­achtenden Internetdownloads, der Digitalisierung geistigen Eigentums, hat das Thema ja auch ganz konkrete Brisanz....
Hager: Genau, aber der Konflikt begann bereits mit dem Fotokopieren. Und reicht via Google bis in die Erfassung von Straßen oder Häusern hinein – oder zur digitalen Sammlung aller je erschienenen Texte und Bücher. Das BVG kann hier natürlich nur nationalstaatlich agieren. Eigentlich wäre bei dem Thema geistiges Eigentum eine globale Rechtssprechung erforderlich. Derzeit scheint es jedoch so, dass die nordamerikanische Justiz global wirksame Entscheidungen trifft. Allerdings sollte man stets beachten, dass der US-Supreme Court auf eine große freiheitliche Tradition zurückblicken kann.

INKA: Was ist konkret geplant an Veranstaltungen?
Hager: Karlsruhe steht in der politischen Begriffswelt unserer Republik für Bürgerrechte und Rechtsstaat. Und wir haben in der PAMINA-Region eine in der Spitze wie in der Breite fantastische Kulturszene. Die Idee ist hier im Haus der Region gereift, mit einer kleinen feinen Reihe das Thema Kunstfreiheit über einige Monate hinweg in das öffentliche wie private Bewusstsein zu rücken. Viele sind von sich aus aktiv geworden – ich nenne hier stellvertretend neben den Kulturverantwortlichen aus Bruchsal und Gaggenau das Theater Baden-Baden oder auch das ZKM, bei dem digitale Themen ohnehin stets auf der Agenda stehen, und das ZAK, das Zentrum für angewandte Kulturwissenschaften der Universität Karlsruhe. Mir persönlich geht es darum, Grenzen in den Köpfen aufzulösen, denn diese mentalen Barrieren sind viel langsamer zu lösen als Grenzen in der Wirklichkeit.

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