40 Jahre Die Grünen
Stadtleben // Artikel vom 29.10.2020
Ein Kommentar von Harry Block.
Ach, umsonst auf allen Länderkarten
spähst du nach dem seligen Gebiet
wo der Freiheit ewig grüner Garten
wo der Menschheit schöne Jugend blüht
Friedrich Schiller – „Der Antritt des neuen Jahrhunderts“
Gäbe es bei den Grünen nur schwache, flache, liebenswürdige Charaktere, dann würde mir zu meiner ehemaligen politischen Heimat wirklich nichts mehr einfallen. Aber da gibt es eine Grüne Jugend und Abgeordnete wie Sylvia Kotting-Uhl, die sich immer noch vorbildhaft für eine andere Sichtweise auf den Neoliberalismus einsetzen. Gleichermaßen dreist wie ulkig ist jedoch der Versuch, die „schwatz-grüne“ Laberpolitik als etwas Konservatives hinzustellen. Wirrsinnige, die von Rot-Grün zu Schwarz-Grün überschwappen, um ihrem Leben eine scheinbar provokante Note zu verleihen, vergessen, dass nachhaltiger Konservatismus nicht neoliberal, sondern klug sein und der Aufklärung treu bleiben heißt. Wir Alt-Grünen begeisterten uns an Johnny Cashs Version des Bob-Marley-„Redemption Songs“: „Emancipate yourselves from mental slavery. None but ourselves can free our minds.“ Um aber seinen Geist befreien zu können, muss man über einen verfügen. Da ist die schwarz-grüne Windbeutelpolitik à la Kretschmann ausgegrenzt. Nachhaltige grüne Politik lässt die Moden Mode sein und behält statt ihrer den Verstand. Indem sie ihn benutzt, hält sie ihn wach und scharf. Verstand ist wie Geschmack eben keine Geschmacksache, sondern die Lebensentscheidung zwischen klug und blöde.
Junge Klimaschützer aus der „Fridays For Future“-Bewegung sowie die mit ihnen sympathisierenden Wissenschaftler haben dies erkannt und wollen sich zu einer neuen Partei zusammenschließen, um bei der Landtagswahl in Ba-Wü 2021 antreten zu können. Da müssten bei den Grünen die Alarmglocken läuten. Schwarz-grüne Politik in Ba-Wü und Hessen ist nicht mausgrau, sondern schwarz: neues Polizeigesetz hierzulande, Flüchtlingsabschiebung oder eine Energiepolitik, die die Forschung an den Brennstoffen für die neue vierte Genration im Joint Research Centre im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe unterstützt und Klima- und Gesundheitskiller Kohlekraftwerke anstatt schadstoffarme Gaskraftwerke laufen lässt (so in Karlsruhe der Staatskonzern EnBW) – das ist einfach falsch, man hat nicht begriffen, das Nachhaltigkeit vor allem auch Veränderung bedeutet.
Die Grünen glauben in ihrer Führungsriege immer noch, sie müssten eigentlich gar nichts tun, außer größere Skandale zu vermeiden und den Leuten zu erklären, dass das, was da auf sie zukommt, gar nicht so schlimm ist und weder den Wohlstand gefährdet noch den Alltag über den Haufen wirft. Mehr noch als von der Bundespolitik wollen die Wähler von der Landespolitik – die sie jenseits der Schulpolitik kaum wahrnehmen – in Ruhe gelassen werden. So argumentieren die an der Macht befindlichen Wohlfühlästheten im grünen Outfit. Für sie ist das Ziel ihrer schwarz-grünen Disziplinlosigkeit, wann sie in und mit ihrer Partei in unserer Republik und in der Bundesregierung wieder ganz oben angekommen sind.
Ein neues Parteiprogramm ist im Anmarsch. Sinnigerweise soll es wie das erste auf einem Parteitag in Karlsruhe beschlossen werden. Ich muss unwillkürlich an die Gründungsveranstaltung der Grünen in KA denken, bei der auch braunstichige Chlorophyllromantiker den Ton angaben. Ich mag nicht, wenn alle im Namen des Gesunden, Natürlichen und Bewahrenden dasselbe wollen und dabei auch noch die Heimat wie eine Monstranz vor sich hertragen. Die grüne Avantgarde begnügt sich nicht, nur für die Rettung der Natur zu kämpfen. Immer öfter ist bei ihnen die Rede von einer neuen ökologischen Gesellschaft, in der nicht nur die Flüsse von Chemikalien frei werden, sondern auch Videoclips von angeblicher Gewalt, TV-Schirme von seichter Unterhaltung, die Menschen von ihrem bösen Konsumverhalten und überhaupt unser ganzes Leben von all dem überflüssigen amerikanisch-westlichen Tand. Wenn dann noch jemand aus der Grünen-Führungsetage stolz vom identitätsstiftenden „Wertehaushalt“ ihrer Partei redet und das grüne Projekt als den Versuch beschreibt, „diese Gesellschaft zukunftsfähig zu machen, sie auf Werte zu orientieren, die abhandengekommen sind“, dann klingen mir die Worte Gruhls und seiner damaligen Volksgemeinschaft in den Ohren.
Im Entwurf zum neuen Parteiprogramm wird vom Wertefundament gesprochen, das unter der Überschrift „Zu achten und zu schützen“ läuft. Es ist ein Programm „für die Breite der Gesellschaft“, wie Parteichefin Annalena Baerbock sagt, „das unseren Führungsanspruch für und mit dieser Gesellschaft untermauert“. Es werden viele Themen auch aus dem sozialen Bereich angesprochen. Was aber fehlt, sind konkrete Forderungen und klare Aussagen, wie Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit erreicht werden soll. Es ist ein Gutmenschen-Wohlfühlprogramm, das die dazu notwendigen auch schmerzlichen Eingriffe in unserer Gesellschaft ausblendet, um ja bei niemanden anzuecken. Da hoffe ich auf konkrete Änderungsanträge der Grünen Jugend, sodass es nach Abschluss des Parteitags nicht heißt: „Wenn das noch Grün ist, sehen wir schwarz!“
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