2. Karlsruher Wochen gegen Rassismus

Stadtleben // Artikel vom 14.03.2014

Ohne Zuzügler stünde Karlsruhe wohl kaum kurz vor seinem 300. Stadtgeburtstag.

Angelockt durch großzügige Privilegien des weltoffenen Markgrafen zog es die Menschen Anfang des 18. Jahrhunderts nicht nur aus der näheren Umgebung, sondern auch von weit außerhalb des Reiches in die Fächerstadt, vor allem aus Frankreich und der Schweiz, aber auch aus Italien und Polen. Heute sind rund 80 Prozent der Einwohner nicht in Karlsruhe geboren, etwa jeder vierte entstammt einer Einwandererfamilie – eine Vielfalt, die dazu verpflichtet, entgegen aller Ressentiments eine tolerante, solidarische Gesellschaft zu gestalten und allen Einwohnern, ganz gleich welcher nationalen, ethnischen, kulturellen, religiösen oder sozialen Zugehörigkeit, ein Leben in Würde, Sicherheit und Gerechtigkeit zu ermöglichen.

Nachdem sich die Stadt vergangenes Jahr zum ersten Mal an den „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ beteiligt hat, bieten die zweiten „Karlsruher Wochen gegen Rassismus“ vom 15. bis 30.3. einen groß angelegten (und nicht selten eintrittsfreien!) Veranstaltungsreigen mit Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops, Lesungen, Theater, Filmen, Konzerten und Ausstellungen, der sich bis zum bunten Abschlussfest (So, 30.3., 14 Uhr, Tollhaus) so vielfältig zeigt wie die von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung betroffenen Menschen.

Vorträge & Diskussionen
Nachdem Oberbürgermeister Frank Mentrup die „Wochen gegen Rassismus“ offiziell eröffnet hat, hält Hadija Haruna, Vorstandsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, ihren einführenden Vortrag „Alte Rassismen in neuem Gewand“ (Sa, 15.3., 18 Uhr, Rathaus). Außerdem präsentiert wird das eigens für diesen Anlass von Multimediakünstlerin Isis Chi Gambatté produzierte Video „Vorurteile? Vorurteile!“. Wer glaubt, dass Rechtsextremismus ein 90er-Jahre-Phänomen war, das heute allenfalls noch im Osten grassiert, sollte Kurt Möller, Professor an der Hochschule Esslingen, bei „Das Ländle – die ‚Insel der Seligen‘?“ (Di, 18.3., 19.30 Uhr, Jubez) zuhören. Mitreden darf das Publikum im Anschluss an „Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke? Rechtsextremismus erkennen und richtig handeln“ (Mi, 26.3., 19 Uhr, Jugendzentrum Weiße Rose; Do, 27.3., 18 Uhr, Werner-von-Siemens-Schule), in dem die längst nicht mehr ganz so neue Symbolik der rechten Szene jenseits von Hakenkreuz und Consdaple-Shirt enttarnt wird; dann erzählt Manuel Bauer über seinen Ausstieg aus der Neonazi-Szene. Von seinem festen Platz im Münchener Oberlandesgericht hat „Evrensel“-Deutschland-Korrespondent Yücel Özdemir den „NSU-Prozess“ (So, 23.3., 15 Uhr, Menschenrechtszentrum) um Beate Zschäpe verfolgt. Der türkische Bericht wird bei Bedarf ins Deutsche übersetzt. Von weiteren „Mitläuferinnen und Macherinnen – Mädchen und Frauen in der extremen Rechten“ (Mo, 17.3., 19 Uhr, Museum für Literatur am Oberrhein) hat es Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Expertin Ellen Esen. Und Christoph Ruf recherchierte für sein Buch „Kurven-Rebellen“ die Widersprüchlichkeiten der deutschen Ultra-Szene: Der Karlsruher Journalist schildert in „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Fußball“ (Do, 20.3., 19.30 Uhr, Kinder- und Jugendtreff Südstadt) Versuche von Neonazis, mit aller Brutalität die Vorherrschaft im Block zu brechen. „Über die Jugend und andere Krankheiten“ (Di, 25.3., 19.30 Uhr, Jubez) referiert Kulturforscher Klaus Farin (Foto) in seinem Diskussionsvortrag für Schulklassen ab Jahrgangsstufe acht, der hoffen lässt, dass die nächste Generation eben nicht einzig und allein aus Bushido-verehrenden Dumpfbacken besteht. Seine in den Schulen der Region seit Jahren bekannte und eminent wichtige Basisarbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus stellt das Netzwerk für Demokratie und Courage Baden-Württemberg (Fr, 21.3., 19 Uhr, DGB-Haus) vor. In „Rassismus ist kein typisch deutsches Problem“ (Do, 13.3., 18.30 Uhr, IBZ) sucht Eren Güvercin gesamtgesellschaftliche Lösungen; gelungene Beispiele für Integration und friedliches Zusammenleben gibt Mohammad Luqman bei „Der Schrecken des Abendlandes – der Islam in Europa“ (Mi, 26.3., 19 Uhr, Friedensheim des Badischen Landesvereins für Innere Mission). Und mit der „Schlüsselfrage! – Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“ (Di, 25.3., 19.30 Uhr, IBZ) setzt sich die spezialisierte Dortmunder Antidiskriminierungsstelle Planerladen auseinander; ein Volkswohnungs-Vertreter berichtet aus der Warte eines der größten kommunalen Immobilienunternehmen Baden-Württembergs über Wohnsituation und -vergabe.

Workshops
Weitergeführt wird die vergangenes Jahr angestoßene Podiumsdiskussion „Diskriminierung im Nightlife“ (Mo, 17.3., 15 Uhr, Marktlücke), auf deren Basis Vertreter von Gastronomie, Polizei und der städtischen Gaststättenbehörde zusammen mit Clubgängern eine Kampagne erarbeiten. Nach einer kleinen Einführung in die Kunst des Schönschreibens fertigen Frauen im Kalligraphie-Workshop (Mo, 24.3., 10 Uhr, Stadtteilbüro Oststadt) mehrsprachige Plakate gegen Rassismus an; gemeinsames „Trommeln und Kochen mit Ajumi“ (Fr, 21.3., 17 Uhr, IBZ) steht bei der Aufnahmegruppe für junge Migranten der Heimstiftung Karlsruhe auf der Programm. Inspiriert durch Kübra Gümüsays Blog und ihren Twitter-Hashtag „schauhin“ ist das Forum www.schau-hin-karlsruhe.de entstanden, in dem Bürger über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus berichten können; das „Schau hin World Café“ (Mo, 24.3., 19 Uhr, Badisches Staatstheater) bietet Raum zur Face-to-Face-Diskussion.

Lesungen
„Dein Wort gegen Rassismus“ (Fr, 28.3., 20 Uhr, ZKM) zählt auch zur „Langen Lesenacht im ZKM“, wo Literatur auf Musik trifft: Bekannte Karlsruher vom Hausherrn Peter Weibel über Musikkabarettist Gunzi Heil bis zum Staatstheater-Schauspieldirektor Jan Linders tragen Texte vor, dazu gibt’s Acoustic Rock mit Singer/Songwriter-Note von 7ender & U.W.E sowie Pop-Rock-Electro von Zill, begleitetet durch Pianistin Natalie Riegger. Der Stuttgarter Autor Hermann G. Abmayr liest unter dem Titel „Die biologische Lösung – oder die deutsche Justiz und das Massaker von St. Anna“ (Mi, 26.3., 19.30 Uhr, Jubez) aus seinem jüngsten Buchkapitel über die juristische Aufarbeitung des Falls aus dem Sommer 1944, als SS-Männer in dem italienischen Gebirgsdorf mehrere hundert Frauen, Kinder und Alte ermorden. Wenige Tage vor dem Erscheinungstermin präsentieren Ibraimo Alberto, der 2011 als Ausländerbeauftragter des Oder-Städtchens Schwedt vor rassistischen Anfeindungen nach Karlsruhe geflüchtet ist, und sein Co-Autor Daniel Oliver Bachmann die Buchpremiere „Ich wollte leben wie die Götter. Was in Deutschland aus meinen afrikanischen Träumen wurde“ (Do, 27.3., 20 Uhr, Museum für Literatur am Oberrhein). Aus einer anderen Zeit stammen die Geschichten der Autobiografie „Deutsch sein und schwarz dazu – Erinnerungen eines Afro-Deutschen“ (Di, 25.3., 19.30 Uhr, Stadtbibliothek) des Halbkameruners Theodor Michael, der sich als „Artfremder mit negroidem Einschlag“ diffamieren lassen musste. „Ich will’s ja selbst gern vergessen!“ (Do, 27.3., 18 Uhr, Stadtmuseum) titeln die von Michail Krausnick vorgetragenen Zeitzeugenberichte über die Verfolgung der Karlsruher Sinti während des NS-Regimes. Und unter dem Tucholsky-Leitspruch „Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an“ (So, 23.3., 11 Uhr, Kaffeehaus Schmidt) lesen Amnesty-International-Mitglieder und Gäste Texte von und über Migranten.

Theater & Comedy
Aus einem alten Propagandastück und stapelweise Akten haben Jan-Christoph Gockel und Konstantin Küspert ihr „Rechtsmaterial“ (Uraufführung: Sa, 29.3., 19.30 Uhr, Badisches Staatstheater) destilliert. Der Theaterabend betrachtet die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund in erster Linie durch Täteraugen. Wie gemacht für die Antirassismus-Wochen ist die bissig-humorvolle Komödie „Jeder rettet einen Afrikaner“ (Mi+Fr, 19.+28.3., 20 Uhr, Badisches Staatstheater); ausgehend von realen Lebensgeschichten beleuchtet „Am falschen Ort“ (So, 30.3., 19 Uhr, Badisches Staatstheater) fünf Flüchtlingsschicksale vom Rand der rumänischen Gesellschaft und das Bühnen-Roadmovie „Roma Romeo und Sinti Carmen“ (Mi, 26.3., 11 Uhr, Insel) folgt zwei Pennälern, die für ihre Strafarbeit als Zigeuner auf Exkursion gehen. „Ich bleib dann mal hier!“ droht Senay Duzcu (Mi, 19.3., 20.30 Uhr, Jubez) in ihrer Ethno-Stand-Up-Comedy; für weiteres „Amüsümünt“ (Sa, 29.3., 20.30 Uhr, Sandkorn-Theater) sorgt Rusen Kartaloglu, ein zweites Mal mit seinem medialen Solostück „Hans & Hasan“ (Foto/Fr, 21.3., 20.30 Uhr, Sandkorn-Theater), wenn Klischee-Deutscher auf Klischee-Türke trifft.

Filme
Mit vier Filmbeiträgen beteiligt sich die Karlsruher Kinemathek an den „Wochen gegen Rassismus“: „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ (Sa, 15.3., 19 Uhr; Di, 18.3., 21.15 Uhr, Studio 3) begleitet fast schon dokumentarisch eine Frau, die im Krankenhaus abgewiesen wird, weil ihre Familie nicht genügend Geld aufbringen kann, um den gestorbenen Fötus aus ihrem Leib holen zu lassen. Frage und Antwort steht Regisseurin Annette von Wangenheim am Ende ihres Porträts „Joséphine Baker – Schwarze Diva in einer weißen Welt“ (Do, 20.3., 19 Uhr, Studio 3), das die Charleston-Königin der Goldenen Zwanziger erstmals als Aktivistin der weltweiten Black-Consciousness-Bewegung zeigt. An der Grenze von Tschechien und der Slowakei spielt „My Dog Killer“ (Fr+Sa, 21.+22.3., 19 Uhr; Di, 25.3., 21.15 Uhr, Studio 3), dessen Skinhead-Herrchen seinen Roma-Halbbruder verachtet. Bei der Vorstellung besteht Gelegenheit zum Gespräch mit Yana Shykhyrina, Antiziganismus-Expertin und Leiterin des Projekts „Tasse Tee“ (Sa, 15./22./29.3., 15.30 Uhr, IBZ), das Asylbewerber willkommen heißt und den Flüchtlingen aus Serbien, Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien anschließend eine Begegnungsstätte bietet. Mit dem Blick von außen predigt und seelsorgt in einem unterfränkischen 400-Seelen-Dorf der indische Pfarrer Cyriac, einer von 500 „Erntehelfern“ (Mi+Sa, 26.+29.3., 19 Uhr, Studio 3), mit denen die katholische Kirche dem Fachkräftemangel begeg­net. Außerdem im Filmprogramm: die in Anwesenheit von Regisseurin Gülsel Özkan vorgeführte Doku „Ertrunken vor meinen Augen“ (Di, 25.3., 19 Uhr, Hochschule für Gestaltung) über den Somalier Ualid und seine in der Schiffsschraube endende Odyssee nach Europa sowie David Wnendts Sozialdrama „Kriegerin“ (Do, 20.3., 19.30 Uhr, Landesmedienzentrum), in dem die 20-jährige Marisa den nicht ganz einfachen Versuch unternimmt, ihrer braunen Clique den Rücken zu kehren.

Konzerte
Auch mit unpolitischer Musik lässt sich Farbe bekennen! Komplett aus regionalen Bands stückelt sich das Line-Up des „Festivals gegen Rassismus“ (Sa, 22.3., 19.30 Uhr, Substage) mit Bender (Rock/Grunge/Blues), Mess Up Your DNA (Nu Metal), Exility (Heavy Metal) und Urrutia, deren Stilmix mexikanischen Alternative, psychedelischen Indie-Rock, Funk und Desert Rock verwebt. Mann der leiseren Töne an diesem Abend: Kiwi Keith Hawkins. Ebenfalls unter dem Banner der „Wochen gegen Rassismus“ stehen die Singer/Songwriter-Dates von Gregor McEwan (Foto oben/Mo, 17.3., 20.30 Uhr, Jubez) und Bergitta Victor (Sa, 22.3., 20 Uhr, Kulturzentrum Tempel).

Ausstellungen
Gegen Ende der Antirassismus-Wochen eröffnet wird „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ (Fr, 28.3., 17 Uhr, DITIB Zentralmoschee). Birgit Mair stellt ihr auf 22 Infotafeln verteiltes Projekt persönlich vor und geht dabei auch auf die aktuellen Entwicklungen im Prozess ein. „Das reizvolle Fremde in der Kunst“ (Sa, 15.3., 15 Uhr) steht beim Streifzug durch die verschiedenen Sammlungsschwerpunkte der Kunsthalle im Mittelpunkt und neben Führungen durch die laufenden ZKM-Ausstellungen „Kata Legrady. Smart Pistols“ (Fr, 14.3., 16 Uhr; Sa, 15.3., 16.30 Uhr; So, 16.3., 11.30 Uhr) und „Global Activism“ (Sa, 15.3., 16.30 Uhr; So, 16.3., 11.30 Uhr; Fr, 21.3., 16 Uhr) fügt sich die Schau „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht. Gewerkschafter in Konzentrationslagern 1933-1945“ (Mi, 26.3., 18 Uhr, Erinnerungsstätte Ständehaus) quasi wie von allein ins Programm ein.Begegnung und Verständigung können aber auch ganz spielerisch ablaufen – wie beim Fußballturnier „Kicken gegen Rassismus“ (So, 16.3., 11 Uhr, Sporthalle Neureut) oder bei der Mobilen Spielaktion Mobi (Di+Mi, 18.+19.3., 14 Uhr, NCO-Club; Do+Fr, 20.+21.3., 13 Uhr, Kinder- und Jugendtreff Mühlburg; Di+Mi, 25.+26.3., 13 Uhr, Kinder- und Jugendtreff Lohn-Lissen). Zum Gedenken und „Erinnerung aufpolieren!“ (Sa, 29.3., 14 Uhr, Jubez) schreitet die Initiative Karlsruher Stolpersteine-Putzaktionen mahnende Gehsteigeinlassungen der Innenstadt ab. Und Karlsruher Bürger können ebenso wie Vereine, Institutionen und Behörden ohne viel Zutun selbst ein deutliches Zeichen setzen: beim dezentral startenden „Lichterlauf gegen Rassismus und Diskriminierung“ (Sa, 29.3., 20 Uhr) zum
Platz der Grundrechte. -pat

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