Ein Festwochenende, drei Jubiläen
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 07.12.2022
Das „Hallenbau-Festival“ und die laufenden Ausstellungen in der Städtischen Galerie und dem ZKM.
312 Meter ist der Hallenbau A lang. Ein denkmalgeschützter Industriebau aus dem 20. Jh. mit einer Grundfläche von 16.500 Quadratmetern beherbergt drei der ganz großen Karlsruher Kunstinstitutionen – und das bereits seit einem Vierteljahrhundert. Für die Städtische Galerie und das ZKM, die vor 25 Jahren in das Gebäude eingezogen sind, sowie für die HfG, die sich bereits seit 30 Jahren in den Räumlichkeiten befindet, war das ein Grund zum Feiern und der Anlass zum ersten „Hallenbau-Festival“. Die drei Institutionen haben seit ihrem Einzug in die ehemalige Munitionsfabrik den Bau in der Vielfalt ihrer Programme und Projekte weit über Karlsruhe hinaus etabliert: als Plattform für Kunst, Medien und zeitgenössisches Kunstschaffen; als Ort für das Lernen und Lehren, für das Forschen sowie das Ausstellen und Vermitteln. Durch das „Hallenbau-Festival“ wollen sie dem historischen Bau gemeinsam und mit geballter Schlagkraft ein wiedererkennbares Gesicht verleihen und sich nochmals stärker als bisher gegenüber der Stadtgesellschaft öffnen. Im Rahmen des Festwochenendes gab es nicht nur drei Tage lang kostenlosen Eintritt, sondern auch zwei große Eröffnungen von neuen Ausstellungen im ZKM (Marijke van Warmerdam: Then, Now, And Then, bis 5.2.) sowie der Städtischen Galerie (Drawing Rooms: Marcel van Eeden – Karl Hubbuch, bis 16.4.).
von Sabine Adler
Hinzu kamen zahlreiche Führungen, Filmpräsentationen, Lesungen und Performances, Rückblicke auf die außergewöhnliche Vergangenheit des Hallenbaus und ein öffentlicher Rundgang mit dem Schwerpunkt auf der Architektur des Gebäudes. Die HfG organisierte speziell für das Wochenende zudem eine ganz besondere Buchmesse: In den Lichthöfen der Hochschule befassten sich StudentInnen und Akteure der nationalen und internationalen Kunst- und Verlagsszene mit Künstlerbüchern. Vor allem hier funktionierte der Zusammenschluss der drei verschiedenen Akteure besonders gut: Das ZKM und die Städtische Galerie stellten für die Ausstellung Kataloge aus drei Jahrzehnten zur Verfügung. Trotz der unterschiedlichen Profile der drei Institutionen war das „Hallenbau-Festival“ eine runde Sache, die hoffen lässt, dass die Zusammenarbeit innerhalb eines historischen Produktions-, Kommunikations-, Bildungs- und Präsentationsorts in Zukunft weiterhin vertieft wird und zu ähnlichen Formaten führt – auch außerhalb von Jubiläen.
Vergangenheit & Gegenwart im Dialog – Hubbuch & van Eeden, Feifel, Leinß & Sobel
„Der Polizeikommissar nahm seine Papiere und ging hinaus, bevor die Journalisten irgendwelche Fragen stellen konnten. In der Zwischenzeit bereitete sich Sollmann darauf vor, das Hotel zu verlassen.“ Mit diesen Worten endet eine von vielen Geschichten, die Marcel van Eeden (Foto oben: Lukas Giesler )in seinen Serien erzählt. Fragmentierte Satzfetzen vervollständigen die Blätter, für die ein weicher Zeichenstil und starke Hell-Dunkel-Kontraste charakteristisch sind. Grundlage für seine Motive und Kompositionen bilden Abbildungen aus Büchern, Tageszeitungen sowie historische Postkarten, die alle vor seinem Geburtsjahr gedruckt wurden. Vergangenheit und Gegenwart treten in „Drawing Rooms“ in einen vielschichtigen Dialog – denn nicht nur van Eedens Serien sind zu sehen: Ihm gegenübergestellt werden Arbeiten von Karl Hubbuch; ebenfalls passionierter Zeichner, aber auch – genau wie van Eeden – einst Grafiker, Fotograf und Karlsruher Akademielehrer. Die Ausstellung legt den Fokus auf die Gemeinsamkeiten der beiden Künstler, vor allem auf deren Vorliebe für das Arbeiten in Serien. Das Konzept geht bestens auf: Im Zwiegespräch der Exponate verknüpfen sich unterschiedliche Schauplätze ebenso wie historische Fakten und eigene Fiktion kunstvoll miteinander. Gerne verfolgt man als Besucher das Storytelling, erkundet Karlsruher Schauplätze und begibt sich auf die Suche nach immer wiederkehrende Figuren (bis 12.2.).
Neben der großen Doppelausstellung wird im Erdgeschoss der Städtischen Galerie eine Rauminstallation von Helen Feifel gezeigt, die nicht nur Fotografie und Malerei, sondern auch eine Videoarbeit umfasst. Zu sehen ist ein Animationsfilm, in dem Feifel mit den Stereotypen eines „Wilden Mannes“ spielt und mit traditionell männlich konnotierten Eigenschaften bricht. Ein Werk mit starker, moderner Aussagekraft (bis 16.4.).
Im zweiten Obergeschoss stellen Karolina Sobel und Florina Leinß (Foto rechts unten: Sabine Adler) im Rahmen der Ausstellungsreihe „Retour de Paris“ Arbeiten aus, die im Rahmen eines Stipendiums an der Pariser Cité Internationale des Arts entstanden sind. Ausgangspunkt für Sobels beeindruckende Rauminstallation waren Recherchen über das Pariser Katakombensystem. Die Künstlerin zeigt Videoausschnitte dieser Unterwelt und macht in ihrer Versuchsinstallation auf den allmählichen Verfall des Gesteins aufmerksam. Geschickt gelingt es ihr, Neugierde für die Stadt unter der Stadt zu wecken und die Auswirkungen auf bestimmte Lebensstrukturen durch Veränderungsprozesse darzustellen. Leinß beschäftigt sich in ihren Bildern mit den Bewegungen unserer Hände im digitalen Raum. In ihren Arbeiten bezieht sie sich auf unbewusste digitale Gesten, die wir täglich auf unseren Smartphones und Tablets ausüben und transferiert diese in die Technik der Radierung. Die Ergebnisse sind vor allem aufgrund ihrer stimmigen Farbgebung und der unterschiedlichen Kompositionen wirklich sehenswert (bis 12.3.)!
„Drawing Rooms“-Rahmenprogramm: Kuratorinnenführungen mit Stefanie Patruno & Sylvia Bieber (Mi, 7.12.+18.1., 17 Uhr); „Art Night“ mit Kurzführungen, Drinks & DJ (Do, 1.12., 19-23 Uhr); „Art Movie Night“: Die Kinemathek zeigt (im Ausstellungsbesuch inkl.) Filme mit Einführung ins Werk von van Eeden: „La Jetée“ & „L’Année dernière à Marienbad“ (Do, 15.12.), „Faust – Eine deutsche Volkssage“ & „Fargo“ (Sa, 14.1., je 19 Uhr); „Faust“-Lesung mit Schauspieler Gunter Heun (Do, 9.2., 18 Uhr)
Soundinstallationen & Illuminationen – Giers & van Warmerdam
Musik für 53,5 Mio. Jahre – so lange würde es dauern, bis sich die Sounddaten eines elektronischen Kunstwerks von Walter Giers wiederholen würden. Ein Zufallsgenerator steuert das Objekt, das aus Acrylglas, diversen elektronischen Komponenten und einem Lautsprecher besteht; dazu der ausgedruckte Schaltplan mit den abgespeicherten Daten. Obwohl es sich ganz klar um ein technisches Kunstwerk handelt, ist es doch erstaunlich sinnlich – wahrscheinlich durch die sphärischen Klänge, sicherlich aber auch durch die Geschichte hinter dem Objekt. Giers zählt international zu den Pionieren der elektrischen Kunst. Zuerst als Jazzmusiker und Industriedesigner tätig, widmete er sich im Laufe seines Lebens zunehmend dem Erschaffen von zweckfreien Objekten aus elektronischen Bauteilen, die er selbst als „elektronische Spielobjekte“ bezeichnet. Und als BesucherIn der Ausstellung kann man dem eigenen Spieltrieb tatsächlich auch nachkommen: Fast alle gezeigten Stücke können durch einen Knopfdruck eingeschaltet werden und erwachen somit zum Leben. Durch die Räume leuchten verschiedene Lichter auf, ertönen die wildesten Klänge und nicht selten sieht und hört man Personen mit den teilweise autonom programmierten Objekten interagieren. Alles in allem eine interaktive Retrospektive, die Spaß macht (bis 16.4.)!
Klänge spielen auch in der Ausstellung „Then, Now, And Then“ von Marijke van Warmerdam eine große Rolle. Bei ihr sind es die Geräusche der Stadt, die als wichtiges Bindeglied zwischen den 14 Videos fungieren. In ihren Filmen porträtiert Warmerdam den Rausch von Italiens Hauptstadt: Wasser und Brunnen, Sonne und Pinien, Autos und Verkehr, Straßentunnel und Denkmäler. Alltagsszenen, die von der Künstlerin eingefangen und festgehalten wurden. Eine Offenbarung barocker Dynamik im heutigen Rom, die Darstellung einer Koexistenz verschiedener Zeitebenen – gemäß dem Titel „damals und heute“. Besucher der Ausstellung tauchen im wahrsten Sinne des Wortes gleich zu Beginn direkt in die Videos der niederländischen Künstlerin ein. Der Weg in die Videoinstallation führt durch einen illuminierten Vorhang, auf den ein Wasserfall projiziert wird. Zwischen den dahinter liegenden Leinwänden und den darauf zu sehenden Sequenzen kann man sich gerne verlieren und die Gegensätze, aber auch Gemeinsamkeiten der Vergangenheit und Gegenwart am Beispiel der italienischen Metropole näher erkunden und auf sich wirken lassen. Vielleicht sogar ein kleines bisschen Dolce Vita von Karlsruhe aus genießen (bis 5.2.).
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