Das Museum tanzt

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 11.11.2013

Gasttänzer aus aller Welt halten die Ausstellung „Sasha Waltz - Installationen, Objekte, Performances“ im ZKM in Bewegung.

Mit der großen ZKM-Schau als Zentrum tourt die Compagnie von Sasha Waltz zu ihrem 20-jährigen Bestehen als Kulturbotschafter Europas im Herbst und Winter mit einem vielfältigen Repertoire-Mix durch Europa. Im ersten Monat besuchten bereits über 15.000 Besucher die Ausstellung und das Publikumsinteresse ist weiterhin hoch. Immer wieder beeindruckend – viele Besucher kommen in der Tat mehrmals – wie das Team des ZKM die höchst komplexe Technik dieser choreografischen Ausstellung löste.

Geradezu leicht, aber ungeheuer eindringlich verschmilzt hier die Technik – etwa im Fries (Videoinstallation aus „Medea“, 2007) nach Heiner Müller, in dem Tänzer aus Ton quasi aus ihrer tönernen Eingefrorenheit zeitlupenhaft wieder zum Leben erwachen – mit einer direkten körperlichen Erfahrung von Raum und Privatheit und Nähe, eindringlich zu erleben im Abriss von „Körper“ , beim „Stammbaum“ (Foto) oder bei den „Hängenden“: In den rund zehn Minuten dieser Performance vollführen die Gasttänzer eine herausragende körperliche sowie skulpturale Leistung. Man sieht immer wieder Besucher, die dort zeichnen wegen der extraordinären Posen, schon mittwochs früh herrscht voller Betrieb in der Ausstellung.

Um diese während der mehrmonatigen Dauer auch in Echtzeit „bewegt“ zu halten, wurde ursprünglich nur für regionale Tänzer eine Audition angeboten. Eine Flut weltweiter Bewerbungen war die Folge. Mit insgesamt 26 Tänzern erarbeitete Sasha Waltz dann die performativen Elemente der Ausstellung vor Ort, die weltbekannte Tanz-Coachin Susan Klein gab einen Workshop, dazu kommt Tänzer Nicola Mascia aus dem Ensemble von Sasha Waltz mehrfach zu Workshops nach Karlsruhe, auch die Choreografin selbst wird nochmals hier mit den Gasttänzen arbeiten – geplant sind im Januar Aufführungen mit mehreren Duo-Parts der Gasttänzer.

Zur Finissage Anfang Februar 2014 kommt Sasha Waltz erneut mit ihrem Ensemble ins ZKM. Stella Braasch und Roger Waltz trafen sich mit Elik Niv, Kyriaki Nasioula und Maya Gomez und sprachen mit ihnen über ihre Performances und die Zeit in Karlsruhe.

INKA: Ein Mittwochvormittag im ZKM, Schulklassen und auch viele ältere Museumsbesucher sitzen gebannt vor der Sequenz aus dem Stück „Körper“ – wobei beeindruckend ist, wie gerade auch die SchülerInnen fokussiert dem Geschehen folgen. Wie seht ihr euch denn vom Publikum aufgenommen?
Elik Niv: Ich bin wirklich beeindruckt. Wenn du so etwas in Israel machen würdest, würden die Kinder lachen, kommentieren und tuscheln, wenn sie einen halbnackten Frauenkörper sehen. Natürlich spürst du ihre Aufregung, aber sie überschreiten die Grenzlinie nicht.
Kyriaki Nasioula: Es ist auch eine Frage der Allgemeinbildung, generell mit Nacktheit umzugehen. Ich sehe das Publikum sehr konzentriert. Sie folgen dieser meditativen Weise, in der wir performen.
Maya Gomez: Das „Hängen“ begeistert die Zuschauer sehr, sie sehen zehn Minuten zu, wie wir uns in Zeitlupe bewegen und rühren sich selbst kaum vom Fleck, bis sie dann begeistert applaudieren.
Niv: Das erste Mal war „Hängen“ sehr anstrengend, aber man gewöhnt sich schnell an dieses Gefühl. Auch mental – es ist ein bestimmter Geisteszustand, vergleichbar mit dem Tauchen. Jeder von uns hat seinen eigenen „Raum“, in den er bei der Slow Motion eintaucht.

INKA: Ihr hattet eine Woche Zeit, um mit Sasha Waltz zu proben. Wie verlief die Zusammenarbeit?
Niv: In dieser einen Woche waren wir 26 Tänzer, ihre eigene Compagnie kam erst später dazu. So viele Leute in so einer kurzen Zeit zu unterrichten war für mich sehr eindrucksvoll. Diese Balance zwischen Effizienz und Geduld zu finden, die sie hat, und dabei auch noch sehr präzise zu sein, während die Uhr tickte und der Zeitdruck immer präsent war – sehr sehr cool.

INKA: Wie fühlt ihr euch, als Tänzer in einem Museum zu arbeiten?
Niv: Am Anfang war ich von der schieren Größe des ZKM fasziniert. Es ist ein riesiger freier Raum, die Decken sind extrem hoch.
Nasioula: Das Interessante an diesem Projekt ist, dass du dir selbst über deine eigene Körper-Präsenz bewusst sein musst und jede einzelne Sekunde daran arbeitest. Dieses Gefühl zu entwickeln ist sehr wichtig für einen Tänzer, eine Tänzerin. Denn in einem Museum hast du das Publikum um dich herum, da kann man keinen Fehler verstecken. Man ist die ganze Zeit exponiert während der Performance.
Niv: Ich bin manchmal verblüfft von der Organisation unserer großen Gruppe. Vielleicht sieht es von außen einfach aus, aber das ist es überhaupt nicht. Wir wissen von innen, wie leicht es auseinanderfallen kann. Das nehme ich für mich mit, denn es ist nicht choreografisch oder technisch schwierig, aber es sind oft gerade einfache Sachen, die so viel Konzentration und Koordination beanspruchen. Ich habe von außen zunächst nicht realisiert, wieviel Detail dahintersteckt.

INKA: Wie sieht euer Leben hier sonst aus? Arbeitet ihr noch nebenbei mit anderen Tänzern? Besucht ihr Workshops oder Trainings?
Gomez: Wir versuchen es. Nur mit diesem einen Projekt haben wir nicht genug Bewegung. Wir machen selbst organisierte Trainings miteinander, ich war auch schon bei einer Klasse der Karlsruher Tanztribüne und in Pforzheim. Aber an einem anderen Projekt arbeite ich nicht.
Niv: Ich arbeite nebenbei auch an meinem Solo und konnte die Räume im ZKM benutzen, was sehr hilfreich ist.

INKA: Ihr seid zwar noch am Anfang, aber was sind eure Erfahrungen bis jetzt?
Gomez: Jeder von unserer Truppe lernt, mit anderen Leuten zu arbeiten. Sasha ist nicht hier, also müssen 13 Leute sich selbst organisieren, von der Rollenverteilung bis zum Kritik verteilen – wenn jemand einen Fehler macht oder vielleicht du selbst etwas falsch machst. Wir müssen lernen, damit umzugehen.
Niv: Wir müssen alles selbst regeln, wir lernen dabei sehr viel, besonders Geduld.
Nasioula: Jetzt, mit der Erfahrung von Sashas Arbeitsweise, kann ich vielleicht auch einen anderen Weg finden, mit meinen eigenen TänzerInnen zu arbeiten. Wie man mit vielen Menschen effektiv arbeiten kann und wie man mit Raum umgeht.

INKA: Ihr lebt alle privat hier. Wie findet ihr Karlsruhe?
Niv: Ich mag es hier irgendwie. Ein bisschen aus der Großstadt Berlin rauskommen. Natürlich ist es manchmal ein bisschen zu klein, aber es hat seine Nachbarschaften und ist recht entspannend. Ein schöner Kontrast zu dem, was ich normalerweise habe.
Nasioula: Für mich ist es schon eine kleine Stadt. Aber man kann sich das zum Vorteil machen. Wenn du dich konzentrieren willst, besonders für die Performances, die sehr meditativ sind, hilft die eher ruhige Atmosphäre.
Niv: Irgendwie hat es die Leute, die nicht hier leben, viel schneller zusammengebracht, es gibt sonst nicht so viel. Wenn wir in einer größeren Stadt wären, würden die Beziehungen zwischen den Tänzern anders sein, nicht so nah.

Elik Niv, geb. 1978 in Israel, fand relativ spät zum Tanz – um ihn dann sofort zu studieren. Er arbeitete mit verschiedenen Choreografen und Companies und lebt seit 2005 in Berlin. Dort hatte er u.a. ein Engagement am Staatstheater Oldenburg und in der Company Dorky Park, er lebt als freier Tänzer und Tanzlehrer in Deutschland und Israel. Er war bis Ende Oktober Teil der „lebendigen“ Sasha-Waltz-Ausstellung im ZKM.

Kyriaki Nasioula, geb. 1988 in Griechenland, begann mit sechs Jahren zu tanzen und war schon früh von Contemporary Dance begeistert. Seit 2007 studiert sie Architektur in Athen und absolvierte nebenbei einen Bachelor in Tanz. Sie kam 2012 durch das Erasmus-Austauschprogramm nach Berlin. Ihr Ziel: Architektur und Tanz zusammenbringen, mit Schwerpunkt auf Site-specific Performances. Sie tanzt bis Mitte Dezember im ZKM.

Maya Gomez, geb. 1990 in der Schweiz, hat auch philippinische Wurzeln. Sie begann mit vier Jahren zu tanzen und zog mit 13 Jahren von zuhause aus, um dann sechs Jahre in Barcelona Tanz zu studieren. Nach einem Engagement an der IT Dansa Company in Barcelona ging sie 2012 als freie Tänzerin nach Berlin und arbeitete dort mit verschiedenen Companies und in Einzel-Projekten. Sie tanzt bis zum Ausstellungsende Anfang Februar im ZKM.


Interview/Übersetzung/Biografien: Stella Braasch, Fotos: Stella Braasch/Thomas Huismann (NL), Bernd Hentschel

bis 2.2., ZKM, Karlsruhe, Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, Performances: Mi 10 Uhr/11.30 Uhr, Fr 15.10 Uhr/16.30 Uhr, Sa 15.10 Uhr, 16.30 Uhr, So 11.10 Uhr, 12.30 Uhr/15.10 Uhr/16.30 Uhr

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