20 Jahre ZKM – Peter Weibel im Interview
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 25.03.2009
Während Berlin das Schloss nachbaut, blickt das Karlsruher ZKM in die Zukunft und erfährt wachsende internationale Anerkennung.
Seit 20 Jahren wird hier geforscht, junge Medienkunst ausgestellt und kühn debattiert. Für INKA sprach Ute Bauermeister mit ZKM-Vorstand Peter Weibel über die verblüffende Aktualität von Medienkunst, künftige Projekte und den Ursprung des Wortes Marzipan als Beispiel für die „beschleunigte Umschreibung“ in einer globalisierten Welt.
INKA: Ein Jubiläumsreigen sondersgleichen: Seit 20 Jahren besteht das ZKM, seit zehn Jahren residiert es im Hallenbau unter Ihrer Leitung, Sie selbst feierten am 7.3. ihren 65. Geburtstag und nahmen ein paar Tage zuvor den Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung in Berlin entgegen: Herzlichen Glückwunsch, sind Sie am Ziel?
Peter Weibel: Wir sind weit gekommen und genießen auch beim Fachpublikum hohes Ansehen. Es wird anerkannt, dass wir Trends setzen und eine Pionierrolle spielen bei der Entdeckung junger Künstler. Darüber bin ich froh. In der jüngsten Ausgabe der Kunstzeitung nannte Charles Saumarez Smith, Leiter der Royal Academy, seine drei Vorbilder: das P.S.1 New York, das Palais de Tokyo in Paris und das ZKM. Nach wie vor gibt es jedoch noch viele Projekte, die ich gerne verwirklichen würde, zum Beispiel würden wir gerne gemeinsam mit großen Verlegern (etwa wie die Buch- und Filmreihe der Süddeutschen) 100 DVDs zur Kunst des 20. Jahrhunderts herausgeben. Gerade Künstler des bewegten Bildes oder auch Bildhauer lassen sich in Büchern schlecht beschreiben. Eine Plastik müsste von allen Seiten fotografiert werden, um ihre Komplexität sichtbar zu machen. Bücher sind die Medien der Maler, aber seit der Erweiterung des Kunstbegriffes brauchen wir eigentlich filmische Dokumentationen über Installationen, Performance oder eben Skulpturen.
INKA: Die Bilanz fällt positiv aus: 2008 besuchten 218.000 Menschen das ZKM, jeden dritten Tag eine Veranstaltung, international beachtete Sonderausstellungen, die auch auf Reisen gehen, ist das in Zeiten der Finanzkrise durchzuhalten?
Weibel: Über die Besucherzahlen bin ich sehr glücklich, gerade im Vergleich mit anderen Städten (das Stuttgarter Kunstmuseum hat jährlich 140.000, die Wiener Albertina 550.000) liegen wir hier sehr gut, zumal wir teils schwierige Ausstellungen zeigen. Zu Ihrer Frage: ja, wir bleiben auf Kurs und wollen das weiterhin durchhalten. Für jedes Projekt versuchen wir gezielt Partner zu gewinnen und finanzieren so unser vielfältiges Programm.
INKA: In einem Interview mit dem Tagesspiegel vor neun Jahren sprachen Sie von der Absicht, alte und neue Medien zu vereinen, z.B. indem man Bildschirme entwickelt, dünn wie Papier, die in die Hosentasche passen. Sind wir da angekommen mit dem iPhone und dem zweidimensionalen Barcode, mit dem man kleine Videospots über aktuelle ZKM-Ausstellungen an der Haltestelle vom Plakat abfotografieren und anschauen kann?
Weibel: Ja, das hat sich bestätigt. Künftig wird wohl das meiste übers Handy laufen. Auch unser auf Youtube eingerichtetes ZKMtube übertrifft die Erwartungen und findet eifrige Nachahmer.
INKA: Innerhalb traditioneller Kunstsparten (Malerei, Plastik etc.) scheint derzeit nicht viel Neues zu entstehen, wohingegen die Medienkunst immer wieder für Überraschungen sorgt. Was hat Sie in jüngster Zeit am meisten beeindruckt?
Weibel: Die Rückkehr des Figurativen in der Malerei hat damit zu tun, dass die Medien nicht abstrakt sind. Film und Fotografie haben die Welt gezeigt, wie sie ist; durch diese Konkurrenz wendete sich auch die Malerei wieder dem Gegenständlichen zu. Der Einfluss der Medien ist stärker denn je. Die Wiedergabe der Wirklichkeit ist bereits medial reflektiert, siehe Andy Warhol oder Gerhard Richter. Das zeigt sich sogar bei den Skulpturen, denken Sie an Erwin Wurm. Ich nenne das „postmediale Situation“, die Medien sind der universale Code geworden. Für große Überraschungen könnten in naher Zukunft Tanz und Musik sorgen. Es gibt eine Verschiebung weg von der Bildfindung hin zur Bewegung, zum Tanz, zur Musik. Die Live-Konzerte der Popszene werden sich ändern, der Fan sitzt nicht mehr nur da und schaut den Star an, sondern will sich selbst auf der Bühne sehen. Ein Tisch ersetzt die Instrumente und Bewegung wird Musik auslösen, das wird eine ganz neue Konzerterfahrung. Die Bundeskulturstiftung hat den Trend erkannt und 12 Millionen Euro für Tanzinitiativen, den Tanzplan, bereitgestellt, leider beteiligt sich Baden-Württemberg als einziges Bundesland nicht daran. Das ZKM wird 2010 an der Münchener Musik-Biennale mitwirken. Geplant ist die Uraufführung einer multimedialen Oper über die bedrohte Welt des Amazonas. Das von Klaus Schedl und Tato Taborda komponierte Werk soll gleichzeitig in München sowie in den brasilianischen Städten Manaus und Sao Paulo aufgeführt werden.
INKA: Sie haben in Sonderausstellungen stets aktuelle, auch gesellschaftspolitische Themen behandelt von Iconoclash über Schönheitskult bis hin zu Medium Religion. Wie zeitnah kann Ihrer Ansicht nach Kunst sein? Ist Medienkunst vielleicht sogar politischer als traditionelle Kunst?
Weibel: Ich kann das nur bestätigen. Kürzlich besuchte ich die ARCO Kunstmesse in Madrid, und von allen gezeigten Künstlern haben sich nur zwei mit der momentanen Krise beschäftigt – und das waren Medienkünstler. Die Medien sind immer sehr zeitnah, Foto und Film leben vom Augenblick. Unsere Besucher schätzen das sehr, sie wissen: Im ZKM finden sie eine Sicht auf die aktuelle Lage jenseits von Hollywood. Uns liegt daran, aktuelle Themen zu vertiefen, die jüngsten Sonderausstellungen, darunter „Medium Religion“, brachten uns darauf, einmal die Geschichte der Gewalt, beginnend mit der Französischen Revolution zu behandeln. Kunst war leider nie gewaltfrei, angefangen von Wagner bis Stockhausen, der die Terroranschläge vom 11. September zum größten Kunstwerk erklärte.
INKA: Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen: Das dem ZKM angegliederte Museum für Neue Kunst hat den Weggang privater Sammler verschmerzen müssen. Immer mehr private Sammler bauen ihre eigenen Museen (Burda, Grässlin, Weishaupt). Wie beurteilen Sie diesen Trend?
Weibel: Die privaten Sammler sind auf dem Vormarsch. Sie haben Freiheiten, über die wir Museen nicht verfügen. Sie können Kredite aufnehmen, zehn Bilder von Martin Kippenberger kaufen und fünf Jahre später die Hälfte für den doppelten Preis veräußern, den Rest beleihen und für den Gewinn neue, junge Kunst erwerben. Durch ihre Ankäufe können sie natürlich auch Preise mitbestimmen. Damit können wir nicht konkurrieren. Trotzdem begrüße ich die Situation, dass immer mehr Sammlermuseen eröffnen, weil die Leute dann hier im Umkreis gute Kunst sehen können und in Baden-Württemberg bleiben. Ich halte nichts von dem derzeitigen Trend zur Zentralisierung, auch dass der renommierte Suhrkamp Verlag nach Berlin zieht, sehe ich mit Sorge. Zurück zur Kunst: Je mehr sich daran beteiligen, Kunst zu sammeln, desto besser. Hier steht das allgemeine Interesse über dem Eigennutz und außerdem wachsen die Privatsammlungen beständig, so dass oft der Platz im eigenen Museum nicht ausreicht und auch Privatsammler, zumindest leihweise, wieder auf unsere Ausstellungsflächen zurückgreifen. Wir zeigen Ende des Jahres unter dem Titel „collected@“ eine Ausstellung der aktuellen Erwerbungen der Privatsammlungen im Museum für Neue Kunst.
INKA: Wie sieht das globalisierte und vernetzte Museum (insbesondere das ZKM) im Jahre 2020 aus?
Weibel: Wir leben in einer Zeit beschleunigter Umschreibung. Ein Beispiel: Frankreich hat eigentlich den falschen Namen, weil es nicht Franzosen sind, sondern Gallier, die von Franken besetzt wurden, diese zogen sich zurück, aber der Name ist geblieben. Oder das Wort „Marzipan“, ursprünglich aus dem arabischen Wort mautaban abgeleitet für Münzen, als solches nach Venedig gewandert, die Italiener waren für den Zoll zuständig und druckten die von ihnen matapan genannte Münze auf Waren, alsbald wurde der Name nicht mehr für die Schachtel, sondern für den Inhalt verwendet: Marzipan. Dieser Prozess der Bedeutungsübertragung von Gefäß auf Inhalt dauerte 1000 Jahre, heute geht das unvergleichlich schneller. Wir sprechen auch von „Leapfrog Nation“, zum Beispiel Kasachstan, die haben einfach ein Jahrhundert übersprungen und sind uns im Bereich Gentechnologie inzwischen weit voraus. Diese beschleunigte Umschreibung, ob sie nun aus Indien oder Lateinamerika kommt, wird uns beschäftigen. Kultur war immer Umschreibung, doch künftig wird das alles viel schneller abgewickelt. Weltweit veranstaltete Symposien werden die Arbeit des ZKM wissenschaftlich begleiten.
INKA: Was wünschen Sie sich für das ZKM?
Weibel: Die Medien beschweren sich immer wieder über die Spektakelkultur, berichten aber leider meist nur darüber. Ein bekannter Journalist kam aus Hamburg zur Coolhunter-Ausstellung und ich wollte ihm noch die parallel präsentierte „bit international. [Nove] tendencije Computer und visuelle Forschung Zagreb 1961-1973“-Ausstellung zeigen. Er lehnte kopfschüttelnd ab, dafür sei kein Platz. Das ist schade. Ich wünsche mir mehr Verständnis und Aufmerksamkeit für die wissenschaftliche Komponente des Museums.
Peter Weibel, 1944 in Odessa geboren, in Österreich aufgewachsen, studierte Literaturwissenschaft, Film, Mathematik, Medizin und Philosophie in Wien und Paris. Sein künstlerisches Werk erstreckt sich auf Bereiche der Konzeptkunst, Performance und Medienkunst. Ausgehend von semiotischen und linguistischen Überlegungen (Austin, Jakobson, Wittgenstein u. a.) entwickelte Peter Weibel eine künstlerische Sprache, die ihn von der experimentellen Literatur zur Performance führt.
Jüngst war im Badischen Kunstverein eine ältere Arbeit von ihm zu sehen – „Das Recht mit Füßen treten“, so der sinnige Titel, bei der das Wort „Recht“ mehrfach auf den Boden geschrieben wurde, über den Besucher zwangsläufig laufen mussten. Zusammen mit Valie Export arbeitete er an einem „erweiterten Kino“. Mit seinen „teleaktionen“ überschritt Weibel die Grenzen des Galerieraumes und untersuchte die Videotechnik in ihrer Anwendung im Massenmedium Fernsehen. Seine künstlerischen Problemstellungen verfolgte er in unterschiedlichen Materialien, Formen und Techniken.
1978 gründete Weibel gemeinsam mit Loys Egg die Band „Hotel Morphila Orchester“. Von 1989 bis 1994 leitete er das Institut für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt, war als künstlerischer Berater und später Leiter der Ars Electronica in Linz tätig, war Österreichs Kommissär der Biennale von Venedig, Lehrtätigkeiten und Preise häuften sich in den vergangenen Jahren, seit 1999 ist Peter Weibel Vorstand des ZKM.
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