Mario Berluti, Kurator Retro Games

Porträt

Auf dem „Lago Maggiore“-Camping mit Bruderherz Benjamin durch die „Bubble Bobble“-Level jumpen, bis das penetrant blinkende „Insert Coin To Continue“ zu unserem unüberwindbaren Endgegner wird – es kommen wohligste 80er-Erinnerungen hoch, als wir über 30 Jahre später wieder als Blasendrachen Bub und Bob miteinander an der Arcade gegen Baron von Blubba antreten. Diesmal allerdings im Karlsruher Museum von Retro Games: Der erste eingetragene „Verein zur Erhaltung und Pflege der Videospielkultur“ in Deutschland hat seit seiner Gründung 2002 rund 90 Arcades, 15 Flipper und zusehends auch Konsolen und Heimcomputer zusammengetragen, sodass die BesucherInnen samstags an über 100 Exponaten 50 Jahre Videospielgeschichte zocken können.

„Jeden Öffnungstag haben wir bis zu fünf Ausfälle, die instandgesetzt werden müssen“, erzählt „Retro Games“-Kurator Mario Berluti, der über zehn Jahre Vereinsvorsitzender war, sich Familie und Firma zuliebe zwischenzeitlich etwas zurückgenommen hat und seit 2023 als Schriftführer wieder Teil des Vorstands ist. „Aber 95 Prozent der Automaten funktionieren immer und im Fall der Ausfälle haben wir etwas auf Lager.“ Denn die Geräte sind zwar überaus robust; Platinen, Chips, Transistoren und Kondensatoren aber nicht dafür ausgelegt, auch 40 Jahre später noch im Einsatz zu sein. Und so besteht ein wichtiger Teil der ehrenamtlichen Vereinsarbeit im Reparieren, weshalb versierte Radio- und Fernsehtechniker gern gesehene Mitglieder sind (man muss aber keinen Highscore vorweisen, um beitreten zu dürfen).

„Schwierig wird es bei neueren Arcades, in denen spezielle Komponenten verbaut sind, die u.U. nur für diesen einen Hersteller produziert wurden. Aber wir legen gesteigerten Wert aufs authentische Spielerlebnis – und sind besonders stolz darauf, dass bei uns im Gegensatz zu anderen Ausstellungen fast alles original ist.“ Das einzig Unauthentische sind die Münzschlitze: Für zehn Euro Eintritt (fünf für alle unter 16) gibt’s unbegrenzt Freispiele. „Vom tagtäglichen Kampf, die Automaten am Leben zu halten, bekommt unser Publikum nichts mit, aber gerade weil wir diese historischen Geräte konservieren, sehen wir uns als Museum.“ Im Ringen um die Anerkennung von Computerspielen als Teil der Kulturgeschichte ist die Kollektion von Retro Games jüngst in die offizielle Museumsliste Ba-Wü aufgenommen worden, war 2023 erstmals Teil der „Kamuna“ und steuert zur Ausstellung „Die 80er“ im Landesmuseum Exponate wie z.B. einen Game Boy bei. Mit dem ZKM pflegt man bereits eine langjährige Kooperation; die Automaten in der 2016 eröffneten „Gameplay“-Ausstellung stammen allesamt aus dem „Retro Games“-Fundus.

Dass die Arcade in Deutschland nicht den Popkulturfaktor genießt wie anderswo, liegt in der Gesetzgebung: Als einziges europäisches Land verbannt die BRD 1985 die vermeintlich süchtigmachenden, jugendgefährdenden und geldraubenden Maschinen aus der Öffentlichkeit in die Spielotheken. „Ich habe seit meiner Kindheit erfahren müssen, dass Videospiele stigmatisiert werden. Keine Frage sind Games auch problembehaftet. Film, der ebenso gewaltverherrlichend sein kann, hat diese Diskussion schon hinter sich. Aber wir sind eben ein noch sehr junges Medium,“ befindet Berluti, der seinen ersten Berührungspunkt Ende der 70er im Heimatort hat: „Abgesehen davon, dass mein Vater aus Italien stammt und wir die Urlaube in einem Land verbracht haben, wo es die Arcadekultur ununterbrochen gab, stand in der Untergrombacher Sportgaststätte ein ‚Space Invaders‘-Automat. Für mich als Elfjähriger, der gerade den ersten ‚Star Wars‘ im Kino gesehen hat, war dieses interaktive Element in einer medial sehr rudimentären Zeit einmal mehr mindblowing! Dieser Augenblick hat mein komplettes Leben beeinflusst: Er hat mich dazu verleitet, mich für Computer zu interessieren, mich zum Programmieren und zur Fachinformatik gebracht. Heute bin ich seit 25 Jahren selbstständiger SAP-Software-Entwickler.“ Die Motivation der Gründer von Retro Games rührt aus ganz ähnlichen Erfahrungen; und sie hatten das Glück, einen Karlsruher Automatenaussteller zu finden, der aufgrund einer neuen Verschrottungsverordnung sein Lager räumen muss. Weil er sich das Entsorgungsgeld sparen will, verschenkt er die 40 Arcades gegen eine besenreine Halle. „In den 2000ern gab es noch einen relativ großen freien Markt. Der ist inzwischen vollkommen leer gefegt – die guten Teile sind alle unter Sammlern vergeben.“

Und so finden sich neben Dedicated-Automaten, deren Side Art, Marquee, Steuerung und Hardware auf ein bestimmtes Spiel ausgelegt sind, auch ein paar Universalautomaten mit neutralem Gehäuse, austauschbarerer Leuchtleiste und Multigame-Jamma-Anschluss im Repertoire. Der Umzug 2021 aus der Gablonzer Str. nach Bulach war „ein gigantischer Act – wie mit 100 Waschmaschinen“. Hier hat das Museum als Teil des Kunst- und Kulturzentrums Kulturdose 330 Quadratmeter Platz: für die Werkstatt, den „Boss Level“, wo sich die Mitglieder zum Daddeln treffen, und seine Arcadeautomaten der unterschiedlichsten Bauart vom Cabinet über die platzsparenderen Cabarets, Cocktail-Tische (Tehkan World Cup), an dem sich zwei Spieler gegenübersitzen, und Lightgunner (Operation Wolf, The House Of The Dead) bis hin zu Sit-ins wie „Mario Kart“; oft in Form von sich mechanisch mitbewegenden „Deluxe Editions“ à la „Space Harrier“, „Out Run“ oder „Prop Cycle“, das den Spieler auf ein Da-Vinci-Flügel-getriebenes Fahrrad setzt, wo er den Propeller mit Pedaltritten in Gang halten, das Fluggerät mit einem Knüppel steuern und dabei Ballons einsammeln muss, während ein Ventilator dem Piloten als Topping des immersiven Erlebnisses Wind ins Gesicht bläst! Der vglw. junge Namco-Vertreter von 1996 zählt ebenso zu den Ausstellungshighlights wie der erste münzbetriebene Arcade der Welt von Atari-Gründer Nolan Bushnell aus dem Jahr 1971 oder „Poly Play“, dem einzigen je in der DDR hergestellten Videospielautomaten.

Dazu kommen jede Menge Klassiker (Pac-Man, Asteroids, Donkey Kong, Frogger, Double Dragon, Metal Slug), Hidden Champions (Amidar, Pooyan), Konsolen von Nintendo und Sega und inzwischen auch Playstation 2 oder die erste Generation der X-Box („Was zu Zeiten unserer Vereinsgründung aktuelle Geräte waren!“) sowie eine Homecomputersammlung von acht bis 16 Bit, vom Schneider CPC über den C64 bis zum Atari ST und seinem Gegenspieler Amiga 500. Die dritte, bis zum 14.12. laufende Sonderausstellung ist „40 Jahren Tetris“ vom Ostblockursprung an gewidmet und präsentiert sich wie alles hier als Edutainment par excellence. Denn eines unterscheidet Retro Games dann doch vom klassischen Museum: Anfassen ist „ausdrücklich erlaubt“! -pat


Kontakt

Kunst- und Kulturzentrum Die Kulturdose
Schauenburgstr. 5
76135 Karlsruhe

Sa 15-22 Uhr


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