Julia Obert, Sängerin
Porträt
„Ich war in meinem Leben nie wieder so aufgeregt wie damals“, erinnert sich Julia Obert an ihr erstes Solo. Es war eine kurze Partie in Bachs „Weihnachtsoratorium“, die Sopranistin war gerade 18, die dieses Stück für sie in eine besondere Stellung erhoben hat. Vor drei Jahren durfte sie das Oratorium nochmal mit dem Vocalensemble Rastatt in Brixen (Südtirol) singen. „Das war etwas ganz Besonderes für mich.“ Seit 2015 ist Obert Mitglied in dem international renommierten Vocalensemble, dessen Leiter Holger Speck auch zugleich ihr Professor an der Karlsruher Musikhochschule war.
Dabei war es eher Zufall, dass oratorische Werke einen zentralen Bestandteil von Oberts Repertoire ausmachen, ist ihre Liebe zu Lied und Oper doch nicht geringer ausgeprägt. „Am Oratorium schätze ich die Unmittelbarkeit“, sagt sie, „Ich mag es, direkt mit Chor und Orchester zu verbunden zu sein, ohne dass da noch ein Kostüm, ein Bühnenbild oder ein Regisseur als Mittler dazwischen sind.“ Wer das rege musikalische Leben an den Karlsruher Kirchen verfolgt, kennt Julia Obert als regelmäßige Solistin in der „Matthäus-Passion“ von Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, in Mozarts „Krönungsmesse“ oder der „Missa Brevis“ von Haydn. Dennoch möchte die gebürtige Schwäbin vielseitig bleiben. Viele SängerInnen spezialisieren sich in ihrer Laufbahn, teils notgedrungen, weil ihre Stimme nicht für jeden musikalischen Stil geeignet ist. „Ich habe alles dafür getan, alle Bereiche abdecken zu können. Das erfordert viel technisches Training. Die Stilistik, die ein Kantor haben möchte, ist oft eine andere, als wenn jemand eine Oper besetzt.“
Bei aller Flexibilität hat Julia Obert dennoch konkrete Vorstellungen, wofür sie als Sängerin stehen möchte: „Mir ist ein warmer Klang sehr wichtig, dem man gerne zuhört und der sehr persönlich ist. Für mich ist das wichtigste Kriterium, dass eine Sängerin nicht nur Töne erzeugt, sondern ihre Individualität ausdrücken kann – dass man so klingt, wie man ist, und damit zugleich die Persönlichkeit einer Rolle in einer Oper oder einem Lied transportiert. Das birgt natürlich auch Risiken, aber die muss man auch mal eingehen. Wenn man immer auf Sicherheit fährt, erreicht man nicht das, was die Menschen berührt: Diese Zerbrechlichkeit der menschlichen Stimme.“ Natürlich ist das mit einer ständigen Entwicklung und Veränderung verbunden. Obert zieht den Vergleich mit Kleidungsstücken, die einem für eine gewisse Zeit lang stehen, aus denen man dann aber ästhetisch herauswächst – auch wenn sie einem rein von den Maßen her noch passen würden.
Zum breiten Spektrum der Sängerin gehören noch andere Aktivitäten: Mit der Pianistin Magdalena Wolfarth bildet sie ein Liedduo, das seit gemeinsamen Studienzeiten besteht und im Mai wieder an der Musikhochschule auftritt. Auch mit deren Rektor Hartmut Höll konzertierte sie bereits mehrmals im Duo. Und dann ist da noch die Oper: 2019 war Obert als Chorsolistin in der Ballett-Oper „Orphée et Eurydice“ von Neumeier und Gluck am Baden-Badener Festspielhaus zu erleben. In der Frankfurter Oper verkörperte sie zwei Rollen in zwei Mozart-Kinder-Opern: Susanna in „Figaros Hochzeit“ und Donna Anna in „Don Giovanni“. Dieses Engagement wird sich mit einer neuen Produktion im Herbst fortsetzen und hat seine ganz eigenen Ansprüche: „Man muss so eine Rolle auf hohem Niveau spielen, aber zugleich kindgerecht“, weiß Obert. „Für die Kinder klingt Operngesang erstmal merkwürdig. Ich singe da aber nicht anders als für Erwachsene und führe sie heran, indem ich anders spiele. Das darf schon mal übertriebener sein, und immer wieder auch lustig. Man ist eine Entertainerin für Kinder, die ab und zu singt. Das ist ein Drahtseilakt.“
Auch wenn in der Oper kein direkter Kontakt zu den Kindern besteht, so hat diese Arbeit durchaus pädagogische Aspekte. Dennoch grenzt Obert ihre Aktivitäten als Gesangslehrerin davon ab. Ihre Schüler müssen nicht erst vom Gesang überzeugt werden, da kann es individueller und kleinteiliger zugehen. Aktuell ist sie Stimmbildnerin für den Karlsruher Bachchor und an der Durlacher Kantorei, hinzu kommen private Schüler und sogar noch vier ganz treue aus ihrer Zeit bei den Kirchenchören St. Bernhard und St. Hedwig. „Ich möchte niemandem etwas aufzwingen, was nicht seinem Naturell entspricht“, erklärt Obert ihre Unterrichtsphilosophie. „Ich schaue mir den Menschen mit seiner Stimme im Ganzen an und versuche, das Beste aus dem herauszuholen, was er selbst mitbringt. Man geht zusammen auf eine Entdeckungsreise und findet heraus, zu was die Stimme und die Persönlichkeit fähig sind.“
Mittlerweile steht die Sopranistin mit klangvollen Namen in einer Reihe: Im Juli 2022 dirigiert Paavo Järvi die Kammerphilharmonie Bremen und das Vocalensemble Rastatt in Beethovens 9. Sinfonie in Bremen, nachdem das Ensemble im März mit dem Pianisten Igor Levit beim Heidelberger Frühling aufgetreten ist. Und trotz einer Karriere, die überregional an Fahrt aufgenommen hat, fühlt sich die Karlsruherin ihrer ehemaligen Hochschule sowie ihrer Wahlheimat nahe: „Emotional werde ich der Musikhochschule immer verbunden sein. Es war mein größter Traum, dort zu studieren, ich nenne Schloss Gottesaue immer ‚mein Schloss‘“, schmunzelt sie. „Und in Karlsruhe gibt es alles, was man sich wünscht: Die vielen Kantoreien, aber auch das Staatstheater, die Kunsthalle, das ZKM, dazu den Schlosspark und eine optimale Lage.“ Noch ein Grund für Karlsruhe gefällig? „In Karlsruhe wird einem nie langweilig. Wenn man in eine Bahn einsteigt, weiß man nie, wo man am Ende ankommt.“ Es wird Zeit für eine U-Strab-Oper mit Julia Obert in der Hauptrolle. -fd