Frank Thissen, Fotograf

Porträt

„Frank Thissen ist eigentlich gar kein Künstler. Er ist Mediendidaktiker, Multimediaexperte, Dozent, Buchautor, Webdesigner, Philosoph, Germanist, Familienvater, und all das mehr oder weniger gleichzeitig. Frank Thissen ist eigentlich doch Künstler. Er ist Fotograf, ein ganz hervorragender und eigenwilliger noch dazu.“ Schreibt Jürgen Linde von „Südwest-Online“, dem heutigen kunstportal-bw.de, 1999 über den Wahl-Karlsruher, mit dem er damals eine „Porträts“-Fotoausstellung in der Durlacher SWO Galerie veranstaltet.

„Angefangen zu fotografieren habe ich, als mir mein Vater zum Abitur eine Minolta XG-9 geschenkt hat. Nach den ersten Erfahrungen durfte ich eine Ausstellung in der Düsseldorfer Freizeitstätte Garath organisieren und habe dafür Schwarz-Weiß-Fotos von Bäumen gemacht“, blickt Thissen auf seine Jugendjahre zurück. Im dortigen Fotolabor eifert er zu Beginn der 80er lange Nächte bei Dunkelkammerlicht dem Naturfotografen Ansel Adams und dessen Zonensystem nach, entwickelt, macht Abzüge – „all das, was meine StudentInnen heute so interessant finden am analogen Fotografieren. Das hatte etwas Magisches!“ Seit 1997 lehrt Thissen als Professor in Stuttgart die Fächer „Technologiebasiertes Lernen“, „Interkulturelle Kommunikation“ und „Kreativitätstechniken“, erst an der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen; zur Fusion der HBI mit der Hochschule für Druck und Medien zur Hochschule der Medien (HdM) kreiert er 2001 den völlig neuen interdisziplinären und bis heute existenten Studiengang Informationsdesign.

In der Nachschau betrachtet ein konsequenter Werdegang des Literaturwissenschaftlers, Linguisten und Philosophen, der während seines Studiums für die „Rheinische Post“ reportert, beim Düsseldorfer Kulturmagazin „Pinboard“ die Theaterrubrik samt hiesigem Schauspielhaus betreut und (Foto-)Seminare an der Volkshochschule gibt, wo er sich an einem 286er unter MS-Dos 3.2 erstmals mit den Möglichkeiten des computerunterstützten Lernens befasst. Im Rahmen dieser Lehrtätigkeit entstehen anspruchsvolle Ausstellungen wie „Deutsch als Fremdsprache“ (1986) und die vielbeachtete Wanderschau „Deutschsprachige Analphabeten“ (1990), „weil sie etwas zeigt, was man eigentlich nicht zeigen kann“.

1992 nach der Promotion an der Heinrich-Heine-Universität verlässt Thissen das Rheinland und zieht in die Fächerstadt, um bei Siemens Technische Redakteure darin zu schulen, verständlichere Texte und Anleitungen zu schreiben. In diesem Rahmen entwickelt er sein erstes Lernprogramm, das die Bedienung einer automatisierten Flaschenabfüllanlage der Brauerei Hoepfner vermitteln soll. Für das pädagogisch nach dem „Cognitive Apprenticeship“-Konzept mit der Autorensoftware „Toolbook“ nachgebaute Schulungsinterface setzt er u.a. eine Comic-Eule als Tutor ein, „was für Siemens so neuartig war, dass der Vorstand in München dieses Feature erst mal absegnen musste“.

Auch bei SAP, wo er drei Jahre später als Wissensmanager eingestellt wird, ist Thissen seiner Zeit weit voraus – und wird nicht glücklich. „Das Internet war ganz neu, wenigstens in den meisten Firmen, und eine objektorientierte vernetzte Organisation von Expertenwissen nur wenigen Informationswissenschaftlern ein Begriff.“ Mit dieser Expertise bewirbt er sich auf eine HBI-Professur für den Studiengang „Öffentliche Bibliotheken“ und bringt in den Kindertagen des WWW angehenden Bibliothekaren und Informationsmanagern bei, wie man Multimedia-CDs erstellt und gute Websites gestaltet. 2003 hat auch der Autor dieser Zeilen unter Thissen diplomiert, dabei dessen „Screen-Design Kompendium“, die von ihm entwickelte Methode des geschichtenbasierten Lernens, Jakob Nielsen, David Siegel, Vincent Flanders und Alan Cooper studiert und so das „Effektive Informieren und Kommunizieren mit Multimedia“ gelernt.

Heute forscht Thissen neben dem Einfluss von Emotionen und Kultur auf Lernprozesse und Informationsdesign schwerpunktmäßig zu neuen Methoden des mobilen E-Learnings, das weit über den Tableteinsatz hinausgeht. Als er mit Unternehmenskommunikationsleiter Markus Schneider 1999 den ersten Webauftritt der Stadtwerke Karlsruhe erstellt, ist noch HTML-Handarbeit angesagt. Davon machen sich seine inzwischen von Psychologen, Grafikern und Informatikern unterrichteten Informationsdesign-Studenten dieser Tage kein Bild mehr, auch wenn viele der Gestaltungsrichtlinien und Usability-Regeln von einst nach wie vor gelten. Die Leitung des Studiengangs hat Thissen inzwischen abgegeben, bringt sich aber auch über gemeinsame Fotokurse mit dem Karlsruher Künstler Gunter Wessmann weiterhin in „seinen“ Studiengang ein. Und so ist es auch sein Lehrbeauftragter, den er als ersten für das an Brandon Stantons „Humans Of New York“ angelehnte Fotoprojekt „Menschen in Karlsruhe“ in den Fokus nimmt.

Aufs Porträtieren kam Thissen schon sehr früh durch Diane Arbus, die mit ihrer Rolleiflex im quadratischen 6x6-Format fotografierte. „Bei diesen sprichwörtlich gestellten Aufnahmen steht die Kamera auf einem Stativ, man schaut nicht durch den Sucher, sondern von oben auf eine Mattscheibe, misst die Belichtung – das geht alles ganz langsam, was zu einer sehr ruhigen Bildatmosphäre führt. Das hat mich derart fasziniert, dass ich mir eine Zenza Bronica gekauft und angefangen habe, Menschen zu porträtieren“, erzählt Thissen. Im Gegensatz zu seinem auch auf Schnappschüsse zielendes Ende 2022 gestartetes Projekt „Menschen im Circus“ findet sich diese entschleunigte Bildsprache auch bei „Menschen in Karlsruhe“ wieder.

Inzwischen hat Thissen über 250 Personen vom Lokalpromi bis zum Normalbürger, der in der Fächerstadt lebt oder arbeitet, abgelichtet und die Fotos mit einer kurzen Selbstvorstellung der Porträtierten ins Netz gestellt. Dabei kommt er nicht umhin, mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu hantieren, „aber ich versuche wie Chris Orwig, den Menschen ihre Schönheit und Authentizität vor Augen zu führen und sie über ein Foto vielleicht auch mit sich selbst zu versöhnen“. Gleichfalls ganz im Geiste von Oscar Wilde, dessen Dramen und Essays Thissen als 18-Jähriger verschlungen, zusammengetragen und später in einem Aphorismenband veröffentlicht hat: „Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze“. -pat


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