Visionäres Musiktheater: „Les Troyens“

Bühne & Klassik // Artikel vom 18.09.2011

Elisa Reznicek sprach mit Regisseur David Hermann über seine Herangehensweise an das Drama um den Untergang Trojas und den Aufbruch des Helden nach Italien.

INKA: In der Spielzeitvorschau wird „Les Troyens“ mit den großen Worten „visionäre Bildkraft, visionäres Musiktheater“ angekündigt. Was ist zu erwarten?
David Hermann: Das Werk ist wirklich visionär! Es ist sehr lang, erzählt viel, enthält zahlreiche Neuerungen. Es sind zudem eigentlich zwei Opern, wobei Vision und Ästhetik beider Teile ziemlich unterschiedlich sind. Am Anfang gibt es eine archaisch-grobe zerstörte Struktur, wobei dies nicht naturalistisch dargestellt, sondern interpretiert wird. Wir arbeiten dabei z.B. im Zuschauerraum, denn das Stück sprengt einfach die Bühne. Allein schon dieser Moment, wenn das trojanische Pferd reinfährt! Wir werden Bezug auf den Musengaul vor dem Theater nehmen und etwas über die Köpfe der Zuschauer hinweg auf die Bühne kommen lassen. Das ist ein Moment, der technisch sehr aufwendig ist. Der zweite Teil ist geprägt von Kathargo als utopischer, auch sehr pazifistischer Stadt. Wir verwenden zur Darstellung moderne Mittel – die Inszenierung hat definitiv nichts vom Schlag eines Sandalenfilms.

INKA: Die Oper hat quasi Götterdämmerungsdimensionen, besonders, wenn man beide Teile en bloc sieht. Wie wollen Sie erreichen, dass das Publikum über gut fünf Stunden durchhält?
Hermann: Ich vertraue stark auf die Musik. Sie hat sehr viele Kontraste: Es gibt tolle Monumentalteile, die einen überrollen und umhauen, aber andererseits auch zarte, filigrane psychologische Studien. Beides dauert – anders bei Wagner, der gerne einmal einen 15-Minuten-Monolog schreibt – nicht so wahnsinnig lange. Bei Berlioz ist es französischer im Sinne von abwechslungsreicher und leichter. Auch die Orchestrierung ist unheimlich packend. Sie ist sehr farbig, geht immer nach vorn, hat Rhythmus.

INKA: Was ist Ihrer Meinung nach die Essenz der Geschichte?
Hermann: Es ist eine krasse Anhäufung von tragischen Schicksalen. Die Leitfigur ist Äneas, der in Troja startet, über Karthago geht und nach Italien muss. Er stellt quasi den roten Faden dar, an dem alles hängt. Alle Protagonisten sind zudem irgendwie miteinander verwandt, es ist eigentlich fast wie eine riesige Familiengeschichte. Was die Essenz aus der gesamten Oper ist, ist allerdings sehr schwer zu sagen, weil es so ein riesiges Fresko mit verschiedenen Dimensionen ist. Im Prinzip kann sich jeder Zuschauer bei seiner Lieblingsfigur andocken.

INKA: Sie haben sich bereits in jungen Jahren einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. Wie meistern Sie den Spagat zwischen der Erwartung des Publikums, jener der Kritiker und ihrer eigenen?
Hermann: Für mich ist es wichtig, dass die Inszenierung unmittelbar wird und man ab einem gewissen Punkt vergisst, dass man im Theater sitzt. Es ist schön, die Zuschauer, ähnlich wie dies bei Filmen der Fall ist, abzuholen. Dafür muss man mit dem Publikum kommunizieren, kann es, wenn man eine gemeinsame Sprache gefunden hat, aber auch fordern. Dabei darf man nicht an die Kritik, weil das noch einmal eine ganz andere Dimension ist. Kritiker sehen viel mehr, vergleichen anders – ich versuche, meine Produktionen aber wirklich fürs Publikum zu machen. Was mich in meinem Beruf manchmal etwas ermüdet, ist, dass Seherwartungen gerade bei Repertoirestücken teils sehr eingeschränkt sind. Umso mehr freut es mich, dass die Zuschauer die selten gespielten Troyaner unmittelbar und live erleben können, dabei hoffentlich die Zeit vergessen und in den Stoff eintauchen.

INKA: Sie arbeiten wieder mit Set-Designer Christof Hetzer zusammen. Wie kann man sich das vorstellen?
Hermann: Jeder studiert erst einmal das Stück für sich, was ganz verschiedene Ausgangspunkte ergibt. Dann wird alles zusammengeworfen, es geht von einer Idee zur nächsten. Dabei gibt es keine Trennung, wer Vorschläge für die Regie und wer fürs Bühnenbild macht. Wir denken vielmehr an die Gesamtheit von Aussage und Ästhetik. Diese befreite kreative Energie ist ein toller Moment. Dann überlegen wir, wie wir es umsetzen können, vom Aufbau bis zur Finanzierung. Hierbei spielen gemeinsame Erfahrungswerte eine Rolle. Insgesamt ist es jedes Mal aufs Neue ein sehr schöner, purer und fast schon kindlicher Prozess, bei dem eigentlich alles erlaubt ist.

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