Staatstheater-Spielzeit 2020/21: Von Haltung & Verhalten
Bühne & Klassik // Artikel vom 19.09.2020
Die Darstellung von Menschen, Konflikten und Kommunikation auf der Bühne hilft dabei, sich eine eigene Haltung anzueignen.
Das neue Spielzeitmotto des Staatstheaters, „Von Haltung und Verhalten“, zielt auf jene elementaren Fertigkeiten ab, die wir angesichts der Probleme unserer Zeit als offene und mündige BürgerInnen brauchen. So setzt sich das Schauspiel in Jonathan Safran Foers „Wir sind das Klima“ mit der globalen Klimakrise auseinander. „Die sieben Todsünden“, eine Collage aus Kurzdramen von sieben Autorinnen, fasst die moralischen Verwerfungen der modernen Welt ins Auge. Weitere Premieren kommen von der Karlsruherin Maren Ade („Toni Erdmann“) und Ferdinand von Schirach („Gott“, ein Stück über Sterbehilfe). Auch Elfriede Jelinek, Ingeborg Bachmann und George Sand stehen auf dem Spielplan. In den „Corona-Solos“ zeigen die Mitglieder des Schauspiel-Ensembles, womit sie sich im Lockdown beschäftigt haben.
Die Oper startet mit Franz Lehárs Operette „Die lustige Witwe“ in die Saison. Die „Aida“ bei Giuseppe Verdi verliert ihre Haltung bis zum eigenen Tod nicht. Mit Christian Josts „Reise der Hoffnung“ setzt die Sparte die Reihe „Oper und Medienkunst“ fort. Im Ballett kann Bridget Breiner endlich ihre 19/20 ausgefallene Premiere „Maria Stuart“ nachholen, ebenso den dreiteiligen Abend „Movers & Shakers“. Mit dem Doppelabend „Wachgeküsst“ führt Breiner Choreografien von Lynne Charles („Auroras Hochzeit“ aus Tschaikowskis „Dornröschen“) und Jeroen Verbruggen (Strawinskys „Feuervogel“) zusammen.
In der Reihe „Alles tanzt!“ kooperiert das Ballett mit der Sparte Volkstheater. Verhaltensweisen ausprobieren, um zu Haltung zu gelangen, das ermöglichen die Mitmachangebote in jener Sparte. Am Volkstheater gibt es nicht nur mehrere Theatergruppen in verschiedenen Altern- und Themenkonstellationen, sondern auch konkrete Projekte, für die Menschen gesucht werden: Karlsruher ab 16 für Eleni Efthymious Widerstands-Projekt „Wenn nicht wir, wann dann?“ sowie für „Das Prickeln der Haut“ Menschen mit und ohne Gehör (ab 14).
Der neue Generalmusikdirektor Georg Fritzsch weitet die Sonderkonzerte der Staatskapelle auf Spielstätten wie Christuskirche, Konzerthaus und Schwarzwaldhalle aus. Wie gehabt gibt es acht Sinfoniekonzerte, dazu zahlreiche Kammer- und Sonderkonzerte, die „Jazz Nights“, die „Nachtklänge“ für Neue Musik und Konzerte für Kinder und Jugendliche. Die dürfen sich am Jungen Staatstheater auf den „Räuber Hotzenplotz“ ebenso freuen wie auf „1.001 Nacht“. Für die älteren stehen Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“, „Der Trafikant“ von Robert Seethaler und mit „In einer Sommernacht“ ein Stück von und für Jugendliche(n) über Liebe, Geschlecht und Sexualität auf dem Spielplan. Falls die aktuelle Corona-Entwicklung die Aufführungen nicht wie geplant zulässt, hat das Staatstheater reizvolle Alternativen in der Hinterhand. -fd
Anna Bergmann
Bei der Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Spielplans für die Spielzeit 2020/21 kam Anna Bergmann gerade überglücklich aus einer der ersten Proben seit zweieinhalb Monaten. Sie sei sehr betroffen von der ganzen Situation des Corona-Lockdowns gewesen, gestand die Spartenleiterin der Schauspiel-Abteilung am Staatstheater Karlsruhe. Vorerst ist das Gröbste überstanden und Bergmann konnte mit neuem Elan Fragen von Friedemann Dupelius beantworten.
INKA: In der „Taz“ bezeichneten Sie das Entstehen von Emotion auf der Bühne als den „Glutkern des Theaters“. Seit kurzem können Sie zumindest wieder gemeinsam proben. Wie heiß glüht der Kern bereits?
Anna Bergmann: Ich probe gerade zwei große spartenübergreifenden Produktionen, die im Oktober Premiere haben werden: Eine siebenfache Uraufführung – „Die neuen Todsünden“ – das sind sieben Kurzdramen europäischer Autorinnen, und „Carmen“, eine musikalisch-schauspielerische Crossover-Produktion mit OpernsängerInnen und Schauspielern. Da wird viel gesungen und getanzt, es geht um große Gefühle und vulkanartige Emotionsausbrüche. Der Kern glüht also extrem heiß.
INKA: Wie stehen Sie in Kontakt mit dem Karlsruher Publikum?
Bergmann: Im Juni und Juli werden wir das Theater und den Probenbetrieb in einer noch nie dagewesenen Form öffnen. Wir geben einen Einblick in den gesamten Prozess der Entstehung eines Theaterabends. Die Zuschauer können mir beim Regieführen über die Schulter gucken. Wir zeigen nicht nur Abläufe, sondern öffnen wirkliche Arbeitsproben, in denen das Publikum erleben kann, wie eine Szene entsteht, wie Licht, Ton, Musik und Bühnentechnik Schritt für Schritt zusammenkommen, um die schauspielerische Leistung im Rampenlicht strahlen zu lassen – ein veritabler Blick hinter die Kulissen. Es gibt auch musikalische Proben, eine öffentliche Beleuchtungsprobe und eine Bauprobe, also all das, was man sonst nie zu sehen bekommt.
INKA: Was hat es mit den „Corona-Solos“ auf sich?
Bergmann: Die „Corona-Solos“ sind in der Zeit der weitgehenden Kontaktbeschränkungen entstanden, in denen unsere Schauspieler auch zu Hause proben wollten. Da bot es sich natürlich an, dass jeder Einzelne in Eigenregie ein Solo erarbeitet hat. Diese Arbeiten werden wir im Oktober in einem kleinen Festival im Studio präsentieren. Falls die Abstandsregeln auch im Herbst weiter gelten sollten, ist es natürlich toll, viele Monologe in petto zu haben, die unsere Schauspieler in einer ganz eigenen, neuen, intimen Perspektive unserem Publikum präsentieren.
Bridget Breiner
Seit der Spielzeit 2019/20 ist Bridget Breiner Ballettdirektorin und Chefchoreografin am Staatstheater Karlsruhe. Für INKA blickt sie auf ihre ersten Erfahrungen in der Fächerstadt.
INKA: Zwei der vier Premieren in Ihrer ersten Spielzeit als Ballettdirektorin am Staatstheater Karlsruhe mussten abgesagt werden. Wie war das für Sie und wie gehen Sie damit um?
Bridget Breiner: Wie ich mich damals gefühlt habe, weiß ich gar nicht mehr. Ich glaube, ich habe es verdrängt. Wir waren mit der Company gerade an einem Punkt, an dem wir uns endlich voll auf die Arbeit an „Maria Stuart“ hätten konzentrieren können. Jedenfalls werden wir beide ausgefallenen Stücke in der kommenden Spielzeit nachholen: Sowohl meine Inszenierung von „Maria Stuart“ als auch das dreiteilige „Movers & Shakers“ mit Choreografien von David Dawson, Cathy Marston und Marguerite Donlon. Darauf freue ich mich sehr!
INKA: Sie kamen zur Spielzeit 2019/20 ganz frisch ans Staatstheater. Das Publikum hat gerade begonnen, Sie kennenzulernen, aber dann ist der Kontakt plötzlich erst mal abgerissen. Wie möchten Sie ihn wieder aufnehmen?
Breiner: Ich bin sehr froh, dass wir noch im Januar mein Ballett „Ruß“ auf die Bühne bringen konnten, weil das meine Arbeit sehr gut widerspiegelt. Karlsruhe hat also schon einen ersten Eindruck meiner choreografischen Erzählweise erhalten. Persönlich habe ich schon das Gefühl, angekommen zu sein, vor allem durch die Arbeit mit der Company. Ich bin kein Social-Media-Mensch und habe auch keine Botschaft ins Netz gestellt, das eh schon von Informationen überflutet ist. Mir ist es wichtig, dass ich dem Publikum wieder vor Ort und face-to-face in Karlsruhe begegne. Dafür bin ich sehr offen, ich spreche gerne mit den Leuten. Über den Sommer haben wir am Theater jetzt einen „Sonderfahrplan“, in dem wir das Haus öffnen. Z.B. laden wir zum offenen Training auf der Bühne ein.
INKA: Wir erleben politisch bewegte Zeiten, aktuell auch durch die Proteste rund um „Black Lives Matter“. Inwiefern sehen Sie den Körper im Ballett auch als etwas Politisches? Kann ein tanzender Mensch auf der Bühne politisch sein?
Breiner: Es waren nicht nur meine Eltern, die mich der Kunst nähergebracht haben und mir den Tanzunterricht zahlen konnten. Es lag auch an unserer Hautfarbe und unserer Position in der Gesellschaft. Wie viele andere frage ich mich gerade, was kann ich tun? Zuhören, das kann man, schauen, was man bewegen kann. Im Tanz lässt sich viel über die Choreografie von Menschenmassen ausdrücken, auch über deren Kontrast zum einzelnen Menschen. Ich selbst denke als Choreografin gar nicht so stark an den Körper. Mein Ausgangspunkt ist die Seele des Menschen. Ich arbeite von innen heraus und möchte mit der Figur der Tänzer etwas Emotionales zeigen – was wiederum politische Hintergründe haben kann.
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