Rio Reiser – König von Deutschland

Bühne & Klassik // Artikel vom 27.09.2013

„Rio Reiser – König von Deutschland“ ist nach dem Dylan-Stück die zweite „musikalische Biografie“ aus der Feder Heiner Kondschaks am Badischen Staatstheater.

Ein musikalischer Theaterabend blickt auf das Leben und die Musik des Ex-Frontmanns von Ton Steine Scherben, der seine größten Erfolge in den 1980ern und 90ern als Solo-Künstler feierte.

Für INKA sprach Friedemann Dupelius mit Jörg Wockenfuß, der das Stück am Badischen Staatstheater musikalisch mitgestaltet.

INKA: Zunächst rief Rio Reiser Slogans wie „Keine Macht für niemand!“ in den frühen 70ern, 15 Jahre später heißt es dann „Für immer und dich“ – welche Zeitspanne deckt das Stück ab?
Jörg Wockenfuß: Es geht von der kompletten Scherben-Zeit bis zu Rios Tod, und das wird auch fast chronologisch erzählt.

INKA: Gibt es da nicht krasse Gegensätze im Stück? Von der Agitrock-Band zum einfühlsamen Solo-Sänger?
Wockenfuß: Der war er immer! Er hat neben politischen Songs auch schon während der Scherben-Zeit viele Liebeslieder geschrieben, die auch teilweise live von der Band gespielt worden sind. Rio Reiser war vielschichtiger, als ihm das vom Publikum oktroyiert wurde. Und wenn du zum Beispiel „König von Deutschland“ hörst, ist das genau so sozialkritisch wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“.

INKA: Was passiert inszenatorisch?
Wockenfuß: Es gibt sehr viele Songs, aber auch Spielszenen – wie sieht das zum Beispiel in der WG am Tempelhofer Ufer aus? Wie werden Konflikte und Erfolge bzw. Misserfolge innerhalb der Band erlebt?

INKA: Wie wird mit den Songs umgegangen?
Wockenfuß: Wir versuchen, sie aktuell zu interpretieren und weichen recht weit von den Originalen ab. Das wird stilitisch breit gefächert. Mir war wichtig, Ausschläge in alle Richtungen zu haben und sich mit einem Arrangement klar zu positionieren. Wenn ein Song Punkrock ist, dann soll der auch wirklich krachig punkig sein. Etwas Weiches, Sensibles spielen wir nicht wie eine ganz normale Popballade, sondern suchen nach neuen Wegen. Wie können Balladen heute klingen? Dann ist man zum Beispiel bei James Blake.

INKA: Welche Rolle spielt Rio Reiser heute? Auch für jüngere Musikhörer, die nicht mit seiner Musik aufgewachsen sind?
Wockenfuß: Seine Lieder sind nicht radiopräsent – wenn, dann laufen Coverversionen. In der Musikwelt spielt er auf jeden Fall eine Rolle, weil sich sehr viele Leute auf ihn als Songwriter beziehen. Die Scherben waren die ersten, die deutsche Texte in der Rockmusik wie selbstverständlich benutzt haben. Ich weiß nicht, ob es ohne sie die deutschsprachige Rock- und Popmusik, wie wir sie kennen, geben würde. Auch gibt es heute noch politische Bands, die sich auf die Scherben und Rio berufen. Wenn Egotronic „Raven gegen Deutschland“ postulieren, hat das auch damit zu tun, das ist auch eine Form von Rebellion. Rio hat mal von „Musik als Waffe“ gesprochen, als Medium, eine Idee zu transportieren. Die Linken damals haben sich ja gegen ähnliche Sachen gewehrt wie die Linken heute, zum Beispiel den Überwachungsstaat.

INKA: Welche eigene, kritische Haltung bringt man in das Stück hinein?
Wockenfuß: Du kannst nicht „Schritt für Schritt ins Paradies“ singen und dich nicht um den Inhalt scheren. Wenn man Rio als Identitätsfigur sieht, so wie wir das ja irgendwie tun, muss man schon Position beziehen. Es ist dann Aufgabe der Regie, das in die heutige Zeit zu bringen, zu sagen: „Was stört mich heute?“

Bis zur Premiere von „Rio Reiser – König von Deutschland“ am Sa, 28.9. campieren Jörg Wockenfuß, Regisseur Dominik Günther, Hauptdarsteller Jan Andreesen, Dramaturg Michael Gmaj und die Schauspieler wie Hagen von der Lieth oder Florentine Krafft im Rio-Mobil auf dem Vorplatz des Staatstheaters. Und wie sich das für eine gute Kommune gehört, ist jeder Passant gern gesehen und darf sich eingeladen fühlen, bei Bier und Gegrilltem mit dem Ensemble ins Gespräch zu kommen. -pat

Premiere: Sa, 28.9., 19 Uhr, weitere Termine: Sa, 5.10., 19.30 Uhr; Fr, 11.10., 20 Uhr, Badisches Staatstheater, Großes Haus, Karlsruhe
www.staatstheater.karlsruhe.de

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