INKA-Interview: Ludwigsburger Schlossfestspiele 2024

Bühne & Klassik // Artikel vom 01.05.2024

Interview mit Intendant Jochen Sandig.

INKA (Roger Waltz): Wie läuft deine letzte Saison, wie sind die Vorverkaufszahlen, was ist schon ausverkauft oder wo sind die Tickets bereits knapp?
Jochen Sandig: Es läuft sehr gut, wir erfreuen uns einer großen Nachfrage. Es sind auch bereits die ersten Veranstaltungen ausverkauft, z.B. die Programme mit dem britischen A-cappella-Ensemble Voces 8. Unser Programm reiht einen Höhepunkt an den anderen in einer sehr kompakten Zeit von acht Wochen. Die Veranstaltungsräume im Schloss haben kleine Kapazitäten und unsere KünstlerInnen in solch historischen Räumen wie dem Ordenssaal oder dem Schlosstheater in unmittelbarere Nähe zu erfahren, ist ein einzigartiges Erlebnis. 2020 waren wir im doppelten Sinn ein besonders ausgefallenes Festival. Am Ende der Saison 2024 werden wir hoffentlich sagen können: Wir waren ein besonders ausgebuchtes Festival.

INKA: Du hast ja auch dieses Jahr wieder eine große Fülle an Weltstars und (noch) Geheimtipps nach Ludwigsburg geholt. Spiegelt sich diese hohe Qualität in den Besucherzahlen? Ist das Programm in der Stadt selbst, aber auch beim großen Nachbarn Stuttgart als herausragend angekommen?
Sandig: Ja, unser Programm kommt an beim Publikum! Wir verzeichnen zwei Trends: Eine überdurchschnittlich hohe Zahl an neugierigen Erstbesuchern und eine wachsende Zahl an überregionalen Gästen. Stuttgart ist ja Teil unserer Region des Mittleren Neckars, aber wir ziehen auch Menschen aus Karlsruhe, München und anderen Städten an. Ludwigsburg ist eine Reise wert, auch aufgrund der Entdeckungen, die man hier machen kann. Ich spreche gerne von den „Weltstars von morgen“ und einige sind es bereits, trotz ihres jungen Alters. So z.B. Klaus Mäkelä mit seinen 28 Jahren, der in Zukunft gleich zwei der bedeutendsten Orchester weltweit leiten wird – das Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam und das Chicago Symphony Orchestra. Bei uns spielt er ein Brahms-Doppelprogramm mit den Osloer Philharmonikern und ist dabei sogar als Solist am Cello zu erleben.

INKA: Wenn du die freie Auswahl als Gast hättest: Welche Veranstaltungen 2024 würdest du auf keinen Fall auslassen wollen?
Sandig: Auf jeden Fall sollte man eines der beiden Konzerte mit dem Festspielorchester besuchen, welche das Festival einrahmen: Die „Fest Spiel Ouvertüre“ mit Ryan McAdams und das „Monrepos Open Air“ mit Alondra de la Parra. Wer sich für Tanz begeistert, sollte sich unbedingt möglichst schnell noch Tickets für„Beethoven 7“ mit Sasha Waltz & Guests im Juni und das „Junglebook Reimagined“ mit der Akram Khan Company im Juli sichern. Das herausragende Mahler Chamber Orchestra, unser diesjähriges Residenzensemble, zeigt sich mit dem Violinisten Renaud Capuçon und dem großen Education Projekt „Wie klingt Heimat?“. Der türkische Pianist und Komponist Fazil Say wird alle von den Stühlen reißen. Und gerade die Kammermusik bietet dieses Jahr wieder unvergessliche Sternstunden u.a. mit der Starsopranistin Asmik Grigorian, der Cellistin Anastasia Kobekina und dem Kammerorchester Basel, den Pianisten Michael Wollny und Alexandre Kantorow, dem Quator Ebène sowie der Schauspielerin Martina Gedeck und dem Harfenisten Xavier de Maistre.

INKA: Es gibt auch ein großes Fest zu 50 Jahren Hip-Hop mit „Fanta Vier“-DJ Friction. Wer ist noch alles an MCS zu erwarten und warum findet das bei den „Schlossfestspielen“ statt, die ja eher für klassische Musik bekannt sind?
Sandig: Wir feiern 50 Jahre Hip-Hop, den man ja damit fast zur klassischen Musik zählen kann. Neben DJ Friction sind DJ 5ter Ton, DJ Emilio, Femdelic, DeeKay, Dogan und der Initiator Luca dabei. In New York wurde ein Museum eröffnet, das sich der Feier und Bewahrung von Hip-Hop-Musik, Tanz, Kunst und Kultur widmet. Das war mir immer ganz wichtig: Die „Schlossfestspiele“ sind und bleiben offen für alle Musikstile. Das zeigt sich auch auf unserer beliebten Reihe der „Frei Luft Musik“, immer freitags um 18 Uhr auf dem wunderschönen barocken Marktplatz machen wir Open-Air-Konzerte bei freiem Eintritt unter dem Motto „Schlossfestspiele für alle!“

INKA: Es wurden während deiner Intendanz neue organisatorische Strukturen geschaffen. Wie sind die „Schlossfestspiele“ für die Zukunft aufgestellt?
Sandig: Die wichtigste organisatorische Veränderung war die Einführung einer Doppelspitze in der Leitung der Festspiele. Ich teile mir die Geschäftsführung seit 2022 mit Gabriele Zerweck und wir sind als Tandem gemeinsam mit unserem fantastischen Team sehr zusammengewachsen. Ich hätte mir hier eine personelle Kontinuität gewünscht in meiner Nachfolge. Die Stadt hat sich jedoch für einen anderen Weg entschieden. Die Festspiele sind hervorragend aufgestellt und mein Nachfolger kann darauf aufbauen.

INKA: Die diesjährige Saison ist deine letzte als Intendant und du gehst wieder fest nach Berlin zurück. Kannst du schon ein Resümee ziehen?
Sandig: Es war mir wichtig, die „Schlossfestspiele“ im Hier und Jetzt zu verankern. Daher war die Themensetzung als „Fest der Künste, Demokratie und Nachhaltigkeit“ sehr wichtig. Wir haben damit auch andere Festivals inspiriert, das ist ein großer Erfolg! Unser Programm hat konsequent einen Frauenanteil von 50 Prozent, etwa mit Dirigentinnen wie Oksana Lyniv, Alondra De La Parra (Foto links: Leo Mazo) und Barbara Hannigan in den letzten Saisons. Wir haben mit Veranstaltungen für die inhaftierte belarussische Künstlerin Maria Kalesnikova auch an die Demokratiebewegungen in anderen Ländern erinnert. Mit Sondermitteln konnten wir den legendären „Sacre“ von Pina Bausch mit einem afrikanischen Ensemble koproduzieren. Die Wooster Group aus New York war zu Gast. Sasha Waltz hat ein Dialogprojekt speziell für das Blühende Barock entwickelt und zum ersten Mal ihr universellstes Projekt „In C“ zur Musik von Terry Riley vor Publikum im Schlosshof aufgeführt. Das sind nachhaltige Projekte, die weiter ihre Kreise ziehen.

INKA: Du bist ja 2020 quasi mit Corona gestartet und hattest zuvor noch drei Mio. Euro aus dem Bundeshaushalt für das neue Konzept der „Schlossfestspiele“ generiert. Durch Pandemie, Krieg, Energiekrise und Inflation sind auch die Produktionskosten exorbitant gestiegen. Wie habt ihr das aufgefangen?
Sandig: Im Rückblick waren es tatsächlich fünf intensive Jahre der stetigen Krisenbewältigung. Es hat auch große Kraft gekostet, es war doppelt so viel Arbeit – so war aber die Realität in allen Kulturinstitutionen. Wir haben mit viel Leidenschaft und Enthusiasmus das Beste daraus gemacht. Es gab einen gewaltigen Innovationsschub: Corona hat uns gezwungen, alles zu digitalisieren. Unsere Digitale Bühne war ein großer Erfolg – gerade während der Pandemie. Wir konnten durch Medienpartner wie Arte viele Menschen online erreichen, mehr sogar als in den Präsenzveranstaltungen. Aber ein solches Festival lebt vom Publikum und vom Live-Erlebnis und daher freue ich mich über die wachsenden Besucherzahlen. Trotz der Kostensteigerungen in allen Bereichen konnten wir die Qualität halten. Das ist vor allem unserem großartigen Team zu verdanken, aber auch den Förderern, neben den Trägern der Festspiele sind da besonders auch die Sponsoren aus der Wirtschaft und die Stiftungen zu nennen. Zum Glück konnten wir damit auch zum großen Teil, die Stagnation der öffentlichen Mittel auffangen. Das wird auch in der Zukunft ein großes Thema bleiben: Was ist uns die Kultur wert?

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