Die „Hörspieltage“ im Interview
Bühne & Klassik // Artikel vom 09.11.2010
Elisa Reznicek sprach mit der Hörspieldramaturgin und Leiterin des Ressorts Hörspiel und Akustische Kunst Martina Müller-Wallraf (WDR 3) und mit Andreas Ammer.
INKA: Wie kam es zu der Idee, die Hintergründe zu Hitchcocks Klassiker „Die Vögel“ als eine Art „musikarchäologische Reise“ zu rekonstruieren?
Martina Müller-Wallraf: Martin Gretschmann und Andreas Ammer bekamen die Gelegenheit, in den Archiven und Magazinen des Deutschen Museums München den gesamten Oskar-Sala-Nachlass zu sichten. Die Begeisterung für das vorgefundene Material hat die beiden inspiriert, ein Hörstück über Oskar Salas Musik zu machen. „Die Vögel“ und damit eine dramaturgisch geschlossene Geschichte in den Fokus dieser Betrachtung zu stellen, war dann der nächste Schritt.
INKA: Wie kann man sich den Produktionsprozess vorstellen?
Müller-Wallraf: Ammers und Gretschmanns Arbeit muss man sich vorstellen wie den Verlauf von zwei umeinander gewundenen Helix-Strängen: Immer wieder ziehen sich beide in ihre Studios zurück und arbeiten am Material weiter, um dann wieder gemeinsam das Ausgefeilte „übereinander“ zu legen und weiterzutreiben.
INKA: Was zeichnet die Zusammenarbeit mit Ammer & Console aus?
Müller-Wallraf: Console ist einer der begabtesten Musiker, mit denen ich bisher arbeiten durfte. Mit schlafwandlerischer Sicherheit schafft er aus jedem Komplex ein Kunstwerk. Ammers Instinkt für das Material in Kombination damit ist schon fast Erfolgsgarantie.
INKA: Wie war die Resonanz der Hörerschaft auf die WDR3-Produktion, die von der Akademie der Darstellenden Künste zum „Hörspiel des Monats Juli 2010“ gekürt wurde?
Müller-Wallraf: Die Hörer haben die Mischung genossen aus spannend erzählter Geschichte und höchster Soundqualität, aus überraschenden Originaltönen und traumwandlerischen Songs.
INKA: Was macht für Sie den Reiz von Hörspielen aus?
Andreas Ammer: Das Tolle an einem Hörspiel ist der „Vertrieb über die Luft“. In ein Theater muss man erst reingehen, ein Hörspiel kann einen auch einfach so, z.B. auf der Autobahn, überfallen. Man wechselt den Radiosender und bleibt plötzlich hängen. Die Offenheit zum Rezipienten hin ist etwas wirklich Grandioses: Dass Leute plötzlich in den Genuss einer Kunst kommen, die das eigentlich gar nicht geplant hatten. Es ist kein abgeschlossener Bereich, sondern etwas wahnsinnig Schönes, Demokratisches, Offenes. Uns reizt im Gegenzug aber auch, diese rein technische Existenz wieder zurückzunehmen und zu zeigen, dass es eine Kunst ist, die von Menschen hergestellt wird, und dass es möglich ist, sie live auf der Bühne zu reproduzieren.
INKA: Bei „Die Vögel“ hat jeder automatisch Szenen des Klassikers vor Augen. Wie konnten Sie sich von diesen Bildern lösen, um einen eigenständigen Zugang zu finden?
Ammer: Martin Gretschmann und ich sind erst mal ins Archiv gegangen und hatten Zugang zum Oskar-Sala-Nachlass im Deutschen Museum. Daher mussten wir uns gar nicht von dem Film lösen. Es gibt sogar noch eine Seite des entsprechenden Sounddrehbuchs von Hitchcock, in dem er Oskar Sala jeden Klang beschreibt und wie er sich alles vorstellt. Wir haben versucht, es so zu realisieren, wie es dasteht, den Auftrag von Hitchcock sozusagen ernst zu nehmen. Es gibt im gesamten Hörspiel keinen einzigen musikalischen Ton, der nicht von Oskar Sala stammt. Es wurden Samples genommen, um damit neue Dinge zu erschaffen. Es sind in dem Sinn also keine Oskar-Sala Kompositionen – die zugrundeliegenden Töne stammen aber alle aus den 60er Jahren und wurden von ihm auf seinem Mixturtrautonium erzeugt.
INKA: Inwiefern unterscheidet sich die Live-Umsetzung von der reinen Hörspielfassung?
Ammer: Es kommen noch ungefähr 20 Minuten Schauspielszenen hinzu, die eine ganz neue Ebene darstellen. Es geht los mit einem Museumsdiener und einer Archivarbeiterin, die sich treffen und über das Sala-Archiv reden. Diese verwandeln sich im Verlauf in Hitchcock und Tippi Hedren. Darüber hinaus gibt es alles, was auch im Hörspiel vertreten ist – live gespielt, live gesungen. Es ist also quasi nicht nur eine Live-Umsetzung, sondern eine Live-Erweiterung.
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