Die Choreografin und Tänzerin Sasha Waltz im Interview
Bühne & Klassik // Artikel vom 24.04.2019
Ihre spektakuläre Tanzausstellung im ZKM ist schon eine Weile her, zuletzt brachte die aus Karlsruhe stammende Tänzerin und Choreografin Sasha Waltz drei neue Tanzstücke zu grundlegenden Themen der Zeit heraus, die in den europäischen Feuilletons als ihre mit besten Arbeiten beschrieben werden.
Im Sommer wird sie Co-Intendantin des Staatsballetts Berlin. Grund genug, Sasha ein paar Fragen nach der nahen Zukunft zu stellen.
INKA: Liebe Sasha, du hast mit „Kreatur“ (2017), „Exodos“ (2018) und jetzt „Rauschen“ an der Volksbühne drei große neue Stücke herausgebracht in drei Jahren mit deiner Compagnie Sasha Waltz & Guests. Hat dich dein bevorstehendes neues „Amt“ nochmals besonders kreativ beflügelt, wie in der SZ konstatiert wird?
Sasha Waltz: Es ist richtig, ich hatte eine sehr kreative Phase, das hat jedoch nichts mit meiner Zukunft am Staatsballett zu tun, sondern weil ich die Dringlichkeit von aktuellen Themen vor Augen habe. 2017/18/19 folgten mit „Kreatur“, „Exodos“ und „Rauschen“ drei große Stücke aufeinander. Es waren diesmal keine Opern, sondern eigene Werke, ohne Libretto und Partitur, Themenkomplexe, die ich nur mit meinem künstlerischen Team von Tänzern, Lichtdesignern und Bühnen- und Kostümbildnern bearbeitete. Wir leben in einer komplizierten Welt. Wir nehmen viele Entwicklungen mit großem Befremden wahr. Wir erleben eine zunehmende Radikalisierung, ob religiöser Fundamentalismus oder das Erstarken der rechten Strömungen. Das langsame Auseinanderdriften Europas. Die digitale Welt stellt uns vor viele neue Fragen – ist sie eine Gefahr oder eher der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme? Die digitale Revolution mit künstlicher Intelligenz als Lösungsansatz oder die totale Überwachung wie sie z.B. in China praktiziert wird. Wir haben keine Zeit mehr – die Klimakatastrophe wartet nicht und die großen Migrationsbewegungen erzwingen klare Lösungen, die vor allem von den rechtsgerichteten Kräften schnell und einfach beantwortet werden mit einer Rückkehr zum Nationalismus. In Amerika gibt es dazu fast paranoide Überlegungen mit einer Mauer das Land vor Immigranten schützen zu können. Als Bürgerin, als Demokratin, als Europäerin, als Weltbürgerin, als Mensch, aber auch als Künstlerin muss ich Stellung beziehen, andere Perspektiven aufzeigen, in dem ich z.B. an die Menschenrechte erinnere. Durch die Biografien der Tänzer, durch die friedliche, konstruktive, kreative Zusammenarbeit vieler Menschen aus vielen Ländern auf und hinter der Bühne sehe ich unsere Compagnie als Botschafterin einer multikulturellen, diversen und offenen Gesellschaft, die für Menschen aller Hautfarbe, Geschlechterorientierung oder Herkunft eine Plattform und ein künstlerisches Sprachrohr sein kann. Vor diesem Hintergrund, mit Themen, die uns alle bewegen, sind meine letzten drei Stücke entstanden.
INKA: Wie geht es denn nun eigentlich weiter mit deiner eigenen Compagnie, wenn du im Sommer mit Johannes Öhman die Leitung des Staatsballetts übernimmst? Das Repertoire wird ja sicher weiter aufgeführt werden?
Waltz: Meine Compagnie ist mit einem wunderbaren Team sehr gut aufgestellt, die Leitung verteilt sich auf mehrere Schultern. Sasha Waltz & Guests wird wie bisher weiterarbeiten und auf Tourneen gehen. Mein Repertoire der vergangenen 25 Jahre wird kontinuierlich gepflegt. 2020 zeigen wir z.B. „noBody“ an der Volksbühne Berlin, ein älteres Werk mit dem großen weißen Ballon, das 2001 an der Schaubühne entstanden ist und wieder ins aktive Repertoire zurückkehrt. Dann produzieren wir ein neues Stück mit einem amerikanischen Regisseur aus New York, der zum ersten Mal mit der Compagnie arbeiten wird. Und dann die aktuellen Stücke: „Kreatur“, „Rauschen“, „Impromptus“, „Körper“, die Opern und Musiktheaterprojekte „Dido“, „Sacre“. Ich habe das nächste Jahr weit im Voraus geplant, sodass die Compagnie eine interessante Spielzeit haben wird. Ich werde 2020 am Staatsballett ein Stück kreieren, aber dann 2021 wieder mit Sasha Waltz & Guests künstlerisch und so in einem alternierenden Rhythmus arbeiten.
INKA: Bringst du am Staatsballett auch eigenen Stücke heraus? Teils mit Tänzern aus deiner Compagnie? Wie kann man sich das vorstellen?
Waltz: Im April 2020 ist meine erste Premiere am Staatsballett Berlin mit der Uraufführung von „Sym-phonie MMXX“, für die Georg Friedrich Haas seine erste Ballett-Musik komponieren wird. Darauf freue ich mich sehr. Ich bin gespannt, wie sich meine Arbeit durch die Arbeit mit den Balletttänzern verändern wird, wie mich die klassische Bewegungssprache zu neuen Lösungen und Bildern bringt. Sasha Waltz & Guests und das Staatsballett Berlin sind zwei voneinander getrennte Institutionen. Dort werde ich mit den Tänzern des Staatsballetts arbeiten und nicht mit Tänzern von Sasha Waltz & Guests. Aber auch im Staatsballett werden wir neue zeitgenössische Tänzer engagieren. So ist eine Klarheit gewährleistet, ich möchte beides nicht vermischen. Die Identität der Compagnie ist ganz anders als die des Staatsballetts und umgekehrt.
INKA: Welche Neuinszenierungen (oder wie viele) sind denn mit dem Staatsballett an der Deutschen Oper geplant?
Waltz: Das Staatsballett bespielt die drei großen Opernbühnen in Berlin. Die Staatsoper mit der Staatskapelle, die Komische Oper und die Deutsche Oper. Am Staatsballett wird es erst einmal kein bestehendes Repertoire von mir geben, da es von Sasha Waltz & Guests gepflegt wird. Das hat den Vorteil, dass es mehr Raum für andere künstlerische Positionen gibt. Ich finde es wichtig, vielen unterschiedlichen zeitgenössischen Choreografen die Möglichkeit zu bieten, an einer großen Institution wie dem Staatsballett zu arbeiten. Es soll ein neues, vielfältiges, zeitgenössisches Repertoire entstehen und die wichtigsten großen Ballette, das Erbe soll wertgeschätzt werden. Das ist der Kern unserer Vision. Zusammen mit Co-Intendant Johannes Öhman entwickeln wir ein einzigartiges Gesicht für diese wunderbare Ballett-Company. Die erste Spielzeit ist sehr erfolgreich, das Publikum ist offen für Veränderung und nimmt unsere deutliche Position zwischen zeitgenössisch wie Sharon Eyal auf der einen Seite und Alexis Ratmanskys klassischer Bayadere – einer Rekonstruktion des ursprünglichen Balletts – auf der anderen Seite sehr neugierig auf. Wir haben eine hohe Auslastung im Moment und hoffen, dass das Momentum des Neuanfangs anhält, auch wenn wir extremere und radikalere Künstlerpositionen anbieten werden.
INKA: Stehen denn mal wieder Gastspiele im Südwesten, Luxemburg oder Frankreich an?
Waltz: Jetzt an Ostern zeigen wir vom 17. bis 20.4. „Kreatur“ in La Villette in Paris. Sonst haben wir mehrere internationale Tourneen, die uns nach Madrid, Bilbao, Tel Aviv, Singapur und Venedig führen. Am 16. und 17.6. zeigen wir „Kreatur“ in Köln. In Berlin zeigen wir im April mein neues Stück „Rauschen“ an der Volksbühne und dann im Juni wieder „Sacre“ an der Staatsoper. Im Moment haben wir keine aktuellen Pläne für Karlsruhe.
INKA: Jochen Sandig, deinen Mann und Co-Leiter deiner Compagnie, zieht es ja beruflich in den Südwesten. Jedenfalls brodelt hier die Gerüchteküche. Sind denn Gastspiele oder Kooperationen geplant?
Waltz: Jochen Sandig wird ab 2020 Intendant der „Ludwigsburger Schlossfestspiele / Internationale Festspiele Baden-Württemberg“. Schon im ersten Jahr wird die Company dort zu Gast sein.
INKA: Ist euer Sohn Lázló, der ja „eigentlich“ studierte, aber von Kindesbeinen an mit der Compagnie unterwegs war, nun doch als Tänzer eingestiegen?
Waltz: Unser Sohn László Sandig ist in meinem letzten Stück als Tänzer auf der Bühne. Es ist spannend, einen jungen Künstler mit im Team zu haben. Da wir uns viel mit Zukunftsszenarien beschäftigten, hatte er viele wertvolle Gedanken dazu. Es ist schön, eine Tänzerpersönlichkeit zu entwickeln. Nach diesem Ausflug auf die Bühne kehrt er wieder ins akademische Leben zurück. Er studiert Philosophie und Sozialwissenschaft, das ist ein gutes Fundament und er wird dieses Wissen in vielen Bereichen nutzen können. Ich bin mir sicher, dass er einen Weg finden wird, seine unterschiedlichen Interessen zu entwickeln und auszuleben. Ich bin selbst sehr gespannt darauf. Manchmal sind Begabungen und Interessen auch eine Herausforderung. Ich beobachte es bei vielen jungen Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich zu entscheiden, da sie so vielfältig begabt sind oder einen breiten Horizont haben. Aber ich sehe das eher positiv und freue mich darauf, dass diese Generation, die extrem gut informiert und wach ist, unsere Gesellschaft stärker prägt und Einfluss nimmt auf die Geschicke unseres Planeten.
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